Dr. Carolin Rocks
Vita
Carolin Rocks studierte Deutsche Philologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Münster und St. Louis, MO. Die Promotion erfolgte 2017 an der LMU München mit der Arbeit Heldentaten, Heldenträume. Zur Analytik des Politischen im Drama um 1800 (Goethe – Schiller – Kleist) (erschienen 2020 im Verlag de Gruyter in der Reihe Studien zur deutschen Literatur). Gefördert wurde die Arbeit durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, durch die FAZIT-Stiftung sowie durch den SFB 1150 Kulturen des Entscheidens (WWU Münster).
Von 2016 bis 2017 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg tätig. Im Anschluss war sie bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Deutschen Seminar der Universität Zürich im SNF-Projekt ETHOS. Ethische Praktiken in ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts beschäftigt. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Literatur und Politik, Ethik und Ästhetik, Gattungstheorie sowie Philosophie und Literatur. Derzeit arbeitet sie an einem Beitrag zur literaturtheoretischen Bedeutung der Praxeologie (gemeinsam mit Frauke Berndt) sowie an einem Gottsched-Handbuch (als Herausgeberin, gemeinsam mit Sebastian Meixner).
Publikationen (Auswahl)
- Heldentaten, Heldenträume. Zur Analytik des Politischen im Drama um 1800 (Goethe – Schiller – Kleist), Berlin/Boston: de Gruyter 2020 (=Studien zur deutschen Literatur 221).
- „Wärmen, glühen, verbrennen. Schiller und Kleist über die Thermodynamik charismatischer Affizierung“, in: Politische Emotionen in den Künsten, hg. von Philipp Ekardt, Frank Fehrenbach und Cornelia Zumbusch, Berlin/Boston: de Gruyter 2020 (=Mnemosyne. Schriften des Internationalen Warburg Kollegs) (im Erscheinen).
- „Das Gute empfinden lernen. Sulzer über den ethischen Nutzen der Kunst“, in: Kulturen der Moral, hg. von Kristin Eichhorn und Lothar van Laak, Hamburg: Meiner 2020 (im Erscheinen).
- „Praktiken zur Autonomie. Zu Moritz', Über die bildende Nachahmung des Schönen‘“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 63/2 (2018), S. 187–203.
- „Feldgeschrey. Zur politischen Funktion des Chors bei Sulzer und Schiller“, in: Chor-Figuren. Interdisziplinäre Beiträge, hg. von Julia Bodenburg, Katharina Grabbe und Nicole Haitzinger, Freiburg i. Br.: Rombach 2016, S. 193–212.
- „,Nur Frankreich konnte Frankreich überwinden‘. Zur Analytik politischer Gegensätze bei Kant und Schiller“, in: Figurationen des Politischen, Bd. 2: Die zwei Körper der Nation, hg. von Oliver Kohns und Martin Doll, Paderborn: Fink 2016 (=Texte zur politischen Ästhetik), S. 359–389.
- Beiheft zu Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte (hg. von Wolfgang Adam): Ästhetik des Zufalls. Ordnungen des Unvorhersehbaren in Literatur & Theorie, hg. von Christoph Pflaumbaum, Carolin Rocks, Christian Schmitt und Stefan Tetzlaff, Heidelberg: Winter 2015.
Forschungsvorhaben: Die Tugend der Literatur. Generische Kräfte zum guten Leben
Das Projekt nimmt die Grundbedeutung von ,Tugend‘ als praktische Tauglichkeit ernst: Moralität im Sinne von Tugendhaftigkeit verwirklicht sich demnach wesentlich in Kräften zum ,guten’ Handeln. In einem Brückenschlag vom 18. zum 20. Jahrhundert lässt sich, so die Hypothese, ein literarischer Diskurs herausarbeiten, der ein solches genuin praktisches Bemühen um das ,gute Leben’ zur Geltung bringt. Das bedeutet ex negativo: Das ethische Profil der Literatur wird nicht über die Frage erschlossen, ob und wie sie sich bestimmten moralphilosophisch transportierten Normen und Idealen verpflichtet, ob und wie sie selbst Theorien der Moral modelliert oder diesen bewusst entsagt. Vielmehr gilt es, Literatur als Medium zu rekonstruieren, das ein spezifisches Spektrum moralischer Kräfte im Sinne von Anleitungen, Anweisungen und Übungen zum ,guten Leben‘ performativ erprobt und reflektiert. Ein so gefasstes literarisches ,Sollen‘ zeichnet sich durch den Anspruch aus, das Leben des Einzelnen sowie der communitas zu formen: Es geht dabei, ganz praktisch, um ein tätiges Einüben der Tugend.
Analytisch erschlossen wird der Nexus von praktischer Moralität und Literatur im Rekurs auf die Theorie der Praxeologie – konkret: in einer kritischen Reflexion sozialwissenschaftlicher Konzeptionen im Geiste des practical turn sowie in einer literaturwissenschaftlichen Operationalisierung der Foucault’schen Selbstpraktiken, aber auch des übergeordneten Denkhorizonts der ,Ästhetik der Existenz‘. Ethische Praktiken im Verständnis Foucaults sind als ästhetische ,Spielräume‘ zu verstehen und es lohnt sich - von literaturwissenschaftlicher Warte – an dem Punkt genauer zu werden, wo Foucault zu wenig an konkreten Darstellungsverfahren interessiert und in diesem Sinne zu allgemein von ,Ästhetik der Existenz‘ respektive ,Lebenskunst‘ spricht. Denn ethische Praktiken haben epochenspezifische ästhetische Formen, die sich – so der gewählte Fokus – in bestimmten Gattungen verdichten. Ziel ist es, eine Praxeologie im Anschluss an Foucault als gattungstheoretisches Beschreibungsverfahren produktiv zu machen und die maßgeblichen generischen Formate (bspw. Legende, Exerzitien, biographisches Porträt, Märchen) zu beschreiben, die sich einer solchen praktischen Moralität verschreiben. Es gilt, exemplarische Stationen einer Gattungsgeschichte des ,guten Lebens‘ zu exponieren.
Die angedeuteten Tugendübungen der Literatur sind indessen formal in hohem Maße restringiert, d. h. sie bewegen sich im Rahmen strenger Gattungsvorschriften. ,Die Tugend der Literatur‘ steht daher für den Versuch, eine diskursgeschichtlich komplexe Liaison von praktischer Moralität und Literatur, genauer: generischer Formstrenge nachzuzeichnen. Diese Perspektive bewegt sich denn auch erklärtermaßen jenseits des üblichen ästhetik- und literaturgeschichtlichen Narrativs, das sich aus einem rigiden Dualismus von Heteronomie- und Autonomieästhetik speist. Formale Rigidität schafft, so lautet die Hypothese, auf den ersten Blick paradoxerweise Raum für literarische Tugendübungen: im inszenierten Aufeinandertreffen von Autor und Leser*innen, von Autor und Autor, von Autor und literarischem Vorbild. Es handelt sich um Gattungsformate, welche die potentiellen Kräfte zum ,guten Leben‘ verhandeln, gerade indem sie sich innerhalb generischer Normvorgaben bewegen, sich der Gattungsnorm gewissermaßen anheimgeben und von dort aus die engen und raren Freiheitsräume wenig naiv ausloten.
Forschungsergebnisse: Die Tugend der Literatur. Generische Kräfte zum guten Leben
Das Verhältnis von Ethik und Ästhetik ist in vielfältiger Hinsicht zum Gegenstand literaturwissenschaftlicher Studien geworden. Darin wurde indessen das ethische Profil der Literatur zuvorderst anhand der Fragen umkreist, ob und wie sie sich bestimmten aus der Moralphilosophie transportierten Normen und Idealen verpflichtet, ob und wie sie sie selbst Theorien der Moral modelliert oder diesen bewusst entsagt. Demgegenüber rekonstruiert mein Projekt Literatur als Medium, das ein Spektrum moralischer Kräfte im Sinne von Anleitungen, Anweisungen und Übungen zum ,guten Leben‘ performativ erprobt und reflektiert. Dabei wird die Grundbedeutung von ,Tugend‘ als praktische Tauglichkeit ernstgenommen: Moralität im Sinne von Tugendhaftigkeit verwirklicht sich demnach wesentlich in Kräften zum ,guten Handeln‘. Ein so gefasstes literarisches ,Sollen‘ zeichnet sich durch den praktischen Anspruch aus, das Leben des Einzelnen sowie der communitas zu formen: Ziel ist ein tätiges Einüben der Tugend.
Im Rahmen des Fellowships wurde die literaturtheoretische Grundlegung des Projekts erarbeitet. Denn um den Nexus von praktischer Moralität und Literatur zu erschließen, eignen sich in der Sozialtheorie entwickelte praxelogische Modelle als Ausgangspunkt. So ging es zunächst darum, die explanative Reichweite von Konzeptionen im Geiste des practical/practice turn (Schatzki, Reckwitz) für literaturwissenschaftliche Fragestellungen zu eruieren. Produktiver für die Beschreibung literarischer Texte erwiesen sich aber Foucaults Überlegungen zu den Praktiken des Selbst bzw. der übergeordnete Denkhorizont der ,Ästhetik der Existenz‘. Denn ethische Praktiken im Verständnis Foucaults sind als ästhetisch verfasste ,Spielräume‘ zu verstehen. In Ergänzung also zu den im engeren Sinne sozialwissenschaftlichen Theorien galt es, Foucault als praxeologischen Denker zu exponieren. Mit einem von Foucault instruierten Konzept von Praktiken lässt sich der moralische Gehalt von Literatur als ein Feld von Kräften bestimmen, die einem ,guten Leben‘ zuarbeiten. Foucaults ethische Praktiken konnten als konzeptuelle Grundlage für eine Studie geltend gemacht werden, die in einem diskursgeschichtlichen Querschnitt vom 18. bis ins 20. Jahrhundert den Tugendübungen der Literatur nachspürt.