Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf
Foto: Hilla Südfeld
Vita
Martina Wagner-Egelhaaf studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Tübingen. 1987 promovierte sie zum Dr. phil. mit einer Arbeit über Mystik der Moderne. Zur visionären Ästhetik der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert an der Universität Tübingen (Stuttgart: Metzler, 1989). Nach ihrer Dissertation war Martina Wagner-Egelhaaf als Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Konstanz tätig, wo sie sich mit dem Thema Die Melancholie der Literatur. Diskursgeschichte und Textfiguration im Jahr 1994 habilitierte (Stuttgart: Metzler, 1997). Von 1995-1998 war sie Professorin für Neuere Germanistik, insbesondere für Literaturtheorie und Rhetorik an der Universität Bochum. Seit 1998 lehrt sie als Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die deutsche Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Literaturtheorie und Rhetorik, Autobiographie und Autofiktion sowie Literatur im Verhältnis zu Religion und Politik. 2019 erschien das von ihr herausgegebene dreibändige Handbook of Autobiography/Autofiction (Berlin/Boston: De Gruyter) und 2020 ihre Monographie Sich entscheiden. Momente der Autobiographie bei Goethe (Göttingen: Wallstein). Martina Wagner-Egelhaaf ist seit 2007 Principal Investigator im Münsteraner Exzellenzcluster Religion und Politik. Sie hatte Gastprofessuren in den USA, in China und in Japan inne. Sie ist ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.
Publikationen (Auswahl)
- „,miteinander aus einem bette aufgestanden‘. Interdiskurse zwischen Recht und Literatur in rhetorischer Perspektive“, in: Cyril de Beun, Rolf Parr, Jörg Wesche (Hg.), Rhetorik und Interdiskursanalyse. Theoretische und praktische Zugriffe auf ein wenig beachtetes Verhältnis, Hannover: Wehrhahn, 2023, S. 51-74.
- „Of Strange Loops and Real Effects: Five Theses on Autofiction/the Autofictional“, in: Alexandra Effe und Hannie Lawlor (Hg.), The Autofictional, Cham: Palgrave, 2022, S. 21-39.
- Sich entscheiden. Momente der Autobiographie bei Goethe, Göttingen: Wallstein, 2020.
- Handbook of Autobiography/Autofiction, 3 Bde., Bd. 1: Theory and Concepts, Bd. 2: History, Bd. 3: Exemplary Texts, Berlin/Boston: De Gruyter, 2019.
- „Weltliteratur/-religion/-politik. Der Fall Rushdie“, in: Vergleichende Weltliteraturen/Comparative World Literatures. DFG-Symposion 2018, hg. von Dieter Lamping und Galin Tihanov, unter Mitwirkung von Matthias Bormuth, Berlin: J. B. Metzler, 2019, S. 467-484.
Forschungsvorhaben: Literarische Dämonologie. Kräfte und Latenzen
Das Projekt widmet sich den Erscheinungsweisen und Funktionen von Dämonen im Diskurs und in der Literatur der Moderne. ,Dämonen‘ suchen den Menschen seit alters heim. Im Denken der Antike waren sie Mittler zwischen den Göttern und den Menschen und stellten das Band zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt dar. Zwar gehörten sie im Mittelalter zur göttlichen Schöpfungsordnung, hatten darin allerdings keinen festen Ort. Als gefallene Engel symbolisierten sie das Böse, gewannen ihre anthropologische Bedeutung aber dadurch, dass ihre Wirkkraft vom Menschen aktiv gesucht werden musste. Goethes widersprüchliche und spannungsvolle Ausführungen zum Dämonischen weisen auf eine konzeptuelle Unverfügbarkeit, aus deren Latenz die Dämonen der Moderne ihr Kraftmoment beziehen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, wozu die Moderne und noch die sog. Spätmoderne überhaupt Dämonen brauchen. Literarische Texte, beispielsweise von Fjodor Dostojewski, Heimito von Doderer, Marcel Beyer, Peter Handke oder Fatma Aydemir, geben unterschiedliche Antworten. Wenn etwa im Spiegel 21 (1996) gefragt wird, ob die Deutschen bezüglich ihrer Auseinandersetzung mit dem Holocaust ein „Volk von Dämonen“ seien oder der Rezensent einer Hamburger Aufführung von Albert Camus‘ Die Besessenen (1959) von den „Dämonen unserer Zeit“ (Briegleb 2023) spricht, sind das Beispiele einer metaphorischen Wirkkraft, die im Diskurs aktiv ist und bei der es zu fragen gilt, was genau und zu welchen Zwecken metaphorisiert wird. Im Fokus des Projekts stehen Rhetoriken des Dämonischen sowie die spezifische Medialität und Materialität von Dämonen-Auftritten.
Forschungsergebnisse: Literarische Dämonologie. Kräfte und Latenzen
Im politischen und kulturellen Diskurs der Gegenwart ist viel von Dämonen die Rede, etwa wenn die ,Dämonen unserer Zeit‘, die ,Dämonen der Vergangenheit‘ oder die ,Dämonen der Geschichte‘ beschworen werden. Offensichtlich handelt es sich dabei um ,Kräfte‘, die den Menschen unserer Tage heimsuchen und die er nicht beherrschen kann. Das Projekt fragte danach, was das für Kräfte sind und widmete sich den Formen und Funktionen des Dämonenbegriffs in der vermeintlich säkularen Moderne. Bewusst wurde darauf verzichtet, klären zu wollen, was Dämonen in der Moderne sind. Vielmehr ging es darum, ausgehend von der Begriffsverwendung zu zeigen, welche Kontexte mit dem Begriff des Dämons aufgerufen werden. Deutlich wurde, dass der Dämonendiskurs vielfältige religions- und kulturgeschichtliche Traditionslinien zitiert. Seit alters wird Dämonen Kraft im positiven wie im negativen Sinn zugeschrieben. Die Tatsache, dass die modernen Dämonen vielfach metaphorisch sind, schmälert ihre diskursive Wirkmacht nicht. Vielmehr konnte beobachtet werden, dass sich die analysierten literarischen Texte aus dem 20. und 21. Jahrhundert (u.a. Georg Heym, Albert Camus, Marcel Beyer, Adriana Altaras, Fatma Aydemir, Maxim Biller, Peter Handke, Lynda Barry, verschiedene Theaterprojekte) bewusst in den metaphorischen Prozess stellen und diesen mitinszenieren. Für diesen Prozess, der insbesondere auf der Theaterbühne eine eigene Dynamik entfaltet, wurde im Rahmen des Projekts der Begriff des ,Postdämonischen‘ eingeführt. Während die Forschung mit dem Ende der Dämonologien nurmehr das Dämonische als Kategorie diskutiert, konnte das Projekt zeigen, dass die Moderne Dämonen als Akteure des Dämonischen inszeniert, die ihm Körper und Stimme verleihen, die Metapher verlebendigen und sie aus der Latenz holen. Die Kraft der metaphorisch belebten Dämonen besteht darin, dass sie zwischen Bild und Bedeutung etwas in Bewegung setzen. Diskursiv sind die Dämonen der Moderne, weil sich die traditionell luftige, flüssige, feurige Natur der Dämonen häufig im Gespräch, im Reden, insbesondere auch und gerade im Gerede zeigt und dabei das Nichtbesprochene mitklingen lässt. Ihre Wirkkraft ist formativ; sie operiert jedoch an den Grenzen der Form und an Übergängen, etwa zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung oder in medialen Übergängen. Das, was die metaphorischen Dämonen agieren, sind meist komplexe, zwischen Schuld und dem Wunsch nach Erlösung aufgespannte, kaum auflösbare Problemkonstellationen. Die Dämonen-Metapher erhebt biographische, aber auch politisch-gesellschaftlichen Ansprüche, d.h. sie insistiert und entkräftet somit das Verdikt, die modernen Dämonen seien ,bloß‘ metaphorisch.