RINGVORLESUNG
Beschreibung
Bei Kräften handelt es sich um notorisch schwer fixierbare Phänomene. Von Anziehungs- und Abstoßungskräften, Bewegungsgesetzen und Gravitation über Prozesse der Erzeugung, Bildung, Selektion und Vererbung bis zu Fragen der Energieerhaltung und Energiegewinnung – Kräfte durchwirken die gesamte Welt von frühantiken Mythen bis zur neuzeitlichen Naturwissenschaft. Die gegenseitige Beeinflussung der Kräfte von Natur(en) und Menschen gehört – von Modellen der Balance, der Inanspruchnahme bis zu Szenarien des Kontrollverlusts oder der Beschwörung magischer Kräfte – zum Grundinventar der europäischen Kulturgeschichte. Hierbei wurden und werden Kräften und ihren vielfältigen Wirkungen oftmals eine dunkle, weil unerklärliche Qualität zugesprochen. Diese Vorstellung einer schwer bestimmbaren „qualitas occulta“ am Grund natürlicher Prozesse findet sich bis zur heutigen Rede in der Physik von schwarzen Löchern und dunkler Materie fortgesetzt.
Die mehr als nur metaphorische Dunkelheit von Kräften verweist unmittelbar in den Bereich der Kunst. In den Künsten stehen Kräfte für die ideelle Erzeugung und materielle Verfertigung von Kunstwerken, denen wiederum Wirkungen wie Anziehung, Abstoßung, Faszination, Lust, Schrecken oder Ekel zugeschrieben werden. Gerade weil Kräfte meist erst in ihrer Wirkung auf andere und anderes zur Wahrnehmbarkeit gelangen, entzünden sich an ihnen Fragen der Darstellung, sei es der Narrativierung oder Visualisierung – sowohl in den Wissenschaften als auch im Bereich der Kunst selbst. Kräfte verweisen auf Wirkvermögen und Wirkungszusammenhänge, deren Darstellung und Modellierung zwischen Wissen und Ästhetik, zwischen Begriff, Metapher und Bild verläuft.
Die Ringvorlesung unternimmt es, aus interdisziplinärer Perspektive Schlaglichter in das Dunkel der Kräfte zu werfen. Zur Debatte steht die doppelte Relation von Wissen und Ästhetik in Physik, Biologie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft: als Frage nach der Darstellung, Modellierung und Sichtbarmachung von Kräften einerseits und den Kräften von Darstellungsverfahren, deren medialen Implikationen und Rückwirkungen auf das Verständnis von Kraft andererseits.
Literatur:
- Frank Fehrenbach, Robert Felfe und Karin Leonhard (Hg.): Kraft, Intensität, Energie: Zur Dynamik der Kunst, Berlin/Boston 2018.
- Thomas Brandstetter (Hg.): Zeichen der Kraft: Wissensformationen 1800-1900, Berlin 2008.
- Franca Buss und Philipp Müller (Hg.): Hin- und Wegsehen. Formen und Kräfte von Gewaltbildern, Berlin/Boston 2020.
- Christoph Menke: Die Kraft der Kunst, Frankfurt am Main 2013.
Programm
12.11.2020 | Frank Fehrenbach, Philipp Müller, Adrian Renner, Cornelia Zumbusch: Dunkle Kräfte - eine Einführung |
19.11.2020 | Ivo Raband: Fliegen, Schweben, Stürzen: Schwerkräfte in der Kunst der Frühen Neuzeit |
26.11.2020 | Frank Fehrenbach: Prägekräfte. Giotto und die Malerei um 1300 |
03.12.2020 | Petra Lange Berndt: „The Inevitable Pull“: Hexen, Tanz, Politik |
10.12.2020 | Astrid Böger: Jenseits von Gut und Böse: Über die ambivalenten Kräfte der Comic-Superheldinnen |
17.12.2020 | Caroline Torra-Mattenklott: Kraft- und Machtworte. Zur Ökonomie verdichteter Rede |
07.01.2021 | Birgit Recki: Rausch, Chaos, tanzende Sterne… Friedrich Nietzsche über die Kraft des Dionysischen als Widerpart und Komplement |
14.01.2021 | Peter Schmidt: Dunkle Einbildungskraft, finstere Mächte und düsteres Mittelalter: Hieronymus Bosch im schwarzen Licht kunsthistorischer Erklärungsmodelle |
21.01.2021 | Karin Leonhard: Schall und Rauch? Unsichtbare Kräfte bei David Bailly |
28.01.2021 | Ivana Rentsch: Die dunkle Seite der musikalischen Kraft |
04.02.2021 | Ute Berns: „Die Dampfkraft im Kräftefeld des britischen Industrieromans: Elisabeth Gaskell’s „North and South“ (1855) |
11.02.2021 | Cornelia Zumbusch: Eiskraft. Gletscher, Schnee und Hagel in der Literatur des 19. Jahrhunderts |
18.02.2021 | Sophie Wennerscheid: Die unheimlichen Kräfte der Natur in Philosophie, Literatur und Film der Gegenwart |