Energielandschaften
Die Begriffsprägung ›energy landscape‹ hat zwar direkt auf die großflächigen und weithin sichtbaren Windparks reagiert. Die Karriere des Begriffs in der Geographie verdankt sich jedoch der Tatsache, dass sich als Energielandschaft grundsätzlich alle Landschaften bezeichnen lassen, die von Praktiken der Energieversorgung geprägt sind. Dazu gehören Infrastrukturen der Gewinnung und Aufbereitung, des Transports und der Speicherung, der Distribution und Entsorgung. Neben Windrädern und Solarpanelen sind also auch der Anbau von Energiepflanzen, Minen, Tagebauareale, Ölfelder, Staudämme, Wasserturbinen, Hochspannungsleitungen, Pipelines, Raffinerien, Kraftwerke, Endlager und Deponien als Elemente aufzufassen, die aus Kulturlandschaften im weiteren Sinn Energielandschaften im engeren Sinn machen. Als Energielandschaften lassen sich aber auch die großen europäischen Abholzungslandschaften verstehen, die seit der Antike das Landschaftsbild verändert haben sowie die Aufforstungslandschaften insbesondere seit dem 19. Jh. Unser Einsatzpunkt liegt zwar durchaus bei den neuen Energielandschaften, die im Zeichen der Umstellung auf erneuerbare Energien entstehen und in naher Zukunft entstehen werden. Allerdings möchten wir für die Diskussion dieser gegenwärtigen und künftigen Landschaftstransformationen erweiterte Rahmungen anbieten, indem wir sie mit einer historischen Tiefendimension und vor allem mit ästhetischen und kulturvergleichenden Perspektiven versehen.
In den energy studies ist argumentiert worden, dass die meisten Eingriffe in Naturräume der Entnahme energetischer Ressourcen dienen. Tatsächlich waren Rodung, Trockenlegung von Sümpfen, Damm- und Kanalbau, die zu Umgestaltungen ›ursprünglicher‹ Natur in Kulturlandschaft geführt haben, als Voraussetzungen für die agrarische Weidewirtschaft primär auf die Erzeugung metabolischer Energie und damit auch auf die Erhaltung bzw. Steigerung tierischer und menschlicher Arbeitskraft sowie auf die Einrichtung von Handels- und Militärwegen ausgerichtet. Daneben hat insbesondere die der Metallgewinnung dienende Minen- und Hüttenwirtschaft schon früh in eng begrenzten Regionen das Landschaftsbild durchgreifend verändert. Im 16. und 17. Jahrhundert war das Landschaftsbild in Mitteleuropa und Nordamerika von Wind- und Wassermühlen geprägt. Wir schlagen deshalb vor, die lange Tradition der (bild)künstlerischen Landschaftsdarstellung – also Landschaftsmalerei, Fotografie, land art, Landschaftsarchitektur, Landschaftsdichtung, erzählter und beschriebener Landschaft bis hin zum (new) nature writing – auf energiegeschichtliche Spuren zu untersuchen und die ästhetischen Kategorien zu reflektieren, die sich bei der Wahrnehmung, Beschreibung, Gestaltung und Darstellung dieser Energielandschaften herausgebildet haben. Ziel ist es, die vom wachsenden Energiebedarf getriebenen Transformationen in Landschaftsräumen lesbar zu machen.
Die Beschäftigung mit Energielandschaften trägt insofern zu einer Imaginationsgeschichte der Kräfte bei, als sie es mit der Visibilisierung des eigentlich Unsichtbaren zu tun hat. Der Umgang mit ›Energie‹ als moderner Erbin des Kraftbegriffs unterliegt grundsätzlich denselben epistemischen und aisthetischen Problemen wie das Nachdenken über Kräfte. Während die Vorrichtungen zur Erzeugung und Übertragung von Energie, die Leistungen und Effekte wie auch die Emissionen und Rückstände durchaus sichtbar und spürbar sind, bleibt Energie selbst der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich. Aus der Sicht der Kulturanthropologie spielt die Untersuchung der Wahrnehmungsmuster genau deshalb eine zentrale Rolle bei der Begleitung von gesellschaftspolitischen Energiewenden. Wenn es stimmt, dass gegenwärtige Akzeptanzprobleme der Energiewende auch mit ästhetischen Prägungen zusammenhängen, ist einerseits über die historische Genese und kulturelle Variationsbreite dieser Urteilskategorien, andererseits über die konkrete ästhetische Gestaltung von Energielandschaften nachzudenken. Zu beidem möchte die Arbeitsgruppe in unterschiedlichen Veranstaltungs- und Diskussionsformaten beitragen.