Review: Workshop »Die überwältigende Katastrophe. Wahrnehmungskonstellationen destruktiver Naturereignisse im europäischen Realismus«
20. Dezember 2022
Katastrophale Naturereignisse stehen im Spannungsfeld von Überwältigung und Bewältigung. Einerseits schlägt die von ihnen ausgehende Gewalt, ihre Größe sowie die Plötzlichkeit ihres Erscheinens in den Bann; sie macht nicht erst sprach- und schriftlos, sondern bringt bereits die menschliche Wahrnehmung an ihre Grenzen. Der von ihr ausgehende Schock setzt jedoch zugleich auch politische, soziale und kreative Energien zur Transformation (oder Restitution) der bestehenden Ordnung(en) frei. Auch das Erleben der Natur im Modus des Katastrophischen ist auf einen solchen Deutungsimpuls angewiesen, handelt es sich hierbei doch immer um eine nur nachträglich zu leistende Deutung.
Doch wie gehen die realistischen Texte mit der Herausforderung um, das Undenkbare und Überwältigende im Moment seines Hereinbrechens zu erfassen? Wie und über welche innerdiegetischen Figuren werden innerhalb der erzählten Welten das kaum Wahrnehmbare antizipiert und dargestellt werden? Wie werden die Natur- und Kulturordnung durch die Zäsur des Katastrophischen zueinander in Bezug gesetzt, wie werden sie dementiert oder affirmiert?
An diesen und anderen Fragen setzte der Workshop »Die überwältigende Katastrophe. Wahrnehmungskonstellationen destruktiver Naturereignisse im europäischen Realismus« ein. In Einzelvortägen haben sich Dr. Clemens Günther (FU Berlin), Laura Isengard (Universität Hamburg), Felix Schallenberg (Universität Jena), Dr. Oliver Völker (Goethe-Universität Frankfurt) und Dr. Roman Widder (HU Berlin) diesen Fragen gewidmet und die Naturkatastrophe Texten des deutschsprachigen und russischen Realismus als Störmoment profiliert, das soziale, epistemische und narrative Konstellationen herausfordert. Diese Störung jedoch lässt die bestehenden (Text-)Ordnungen in ihrer Konstruiertheit zuallererst erfahrbar werden.