2023/24: Latenz
Die fundamentale Unterscheidung zwischen dynamis und energeia, die Aristoteles in die Geschichte der Naturphilosophie eintrug und die bis heute im Gegensatz von potentieller und kinetischer Energie fortwirkt, eröffnet einen Bereich des Vermögens, der in den Akteur:innen und Objekten schlummernden Möglichkeiten, die die spezifischen Produktionsbedingungen und Wirkformen der Künste passgenau benennt, obwohl Aristoteles selbst diese Übertragung nicht ausformulierte. Seit der frühen Neuzeit kennzeichnet das Genie eine latente Schöpferkraft, die in geeigneten Konstellationen aktiviert wird; auf der anderen Seite wird das sprachliche, musikalische, visuelle Kunstwerk als Speicher von Kräften verstanden, die sich in der Rezeption aktualisieren. Wir wollen im fünften Jahr den ›verborgenen‹, nach Gestaltung und Wirkung drängenden Kräften nachgehen, an die sich besonders stark die Vorstellung ›dunkler‹, numinoser Ursachen und Agenten (die göttliche Macht, die astrologische Konstellation, dämonische Inspiration usw.) heften. Es wird darum gehen, Konstellationen nachzugehen, in denen nicht die generelle Verborgenheit bewirkender Ursachen (die sich nur an ihren Wirkungen zeigen), sondern gerade ihre nicht-aktualisierte Möglichkeitsform, ihr ›Schlummern‹ im Zentrum stehen.