2025/26: Schwäche
Im siebten Jahr wollen wir uns dem Anderen der Kraft von einer Seite widmen, die nicht als Gegenkraft zurückwirkt, sondern die Kraft gleichsam von innen her bedroht: mithin der Schwäche. Bis ins 17. Jahrhundert war die notwendige Ermüdung der Kräfte ein naturphilosophisches Axiom, bevor das Konzept der inertia das Abklingen etwa von bewegenden Kräften allein der Gegenwirkung anderer Akteure zuschrieb. Zuvor waren Kräfte Strebevermögen, die sich in ihrer Aktivierung notwendigerweise verausgaben mussten. Leonardo da Vinci bringt diese Grundüberzeugung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Impetusphysik poetisch auf den Punkt, wenn er der kinetischen Übertragungskausalität eine suizidale Sehnsucht unterstellt, die mit der Ruhe als Ziel ihren eigenen Tod anstrebt. In den Produktionsästhetiken des künstlerischen Ingeniums ist die Konfrontation der Schöpferkraft mit kontingenten, schwer oder nicht kontrollierbaren Phasen der Erschöpfung und der melancholischen acedia ein konstantes Thema. Spätestens mit der Formulierung des zweiten Satzes der Thermodynamik werden Erschöpfung und Ermüdung zu Schlüsselkonzepten kultureller (Selbst-)Beschreibung. Neben Verausgabung, Trägheit und Müdigkeit treten mit der Frage nach der Schwäche aber auch Konzeptualisierungen besonders klein- und kleinstskaliger, feiner oder subtiler Kräfte in den Blick. Goethes Rede von den ›unmerklichen Kräften‹, Stifters Interesse an den kleinen Wirkungen natürlicher Kräfte, Benjamins Idee von der ›schwachen Kraft des Messianischen‹ bieten Stichworte, von denen aus sich die ästhetischen Potentiale der Schwäche entwickeln ließe.