Dr. Vera Thomann
Vita
Vera Thomann ist Postdoktorandin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Sie wurde 2023 mit einer Arbeit zum Tierversuch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur an der Universität Zürich promoviert; zuvor war sie 2022–2023 Visiting Fellow an der Harvard University. An der Universität Wien forschte sie zuletzt im Rahmen des FWF-Projekts Landschaft, Leben, Form: Die Poetik des Anthropozäns zu Formreflexionen in umweltbezogener Literatur. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der deutsch- und englischsprachigen Literatur seit dem 19. Jahrhundert sowie in den Bereichen Animal Studies, Wissenspoetik, Formalismen und visuelle Kultur.
Publikationen (Auswahl)
- Labor in Space, Labor in Time: Literary Terraforming in the German Cultural Imagination (1842–1924). In: Fastrup, Anne et al. (Hg.): Brill Companion to the Literary History of the Early Anthropocene. Leiden: Brill 2026. [in Vorbereitung]
- Punkt, Linie, Fläche, Ebene: Raumgenese und Formzerfall in Georg Büchners Lenz. Georg Büchner Jahrbuch, Bd. 18 (2026). [in Vorbereitung]
- Hypervisibilität. Weiße Tiere bei Theodor Storm. Schriften der Theodor-Storm- Gesellschaft, Bd. 73 (2025), S. 26–43.
- Käfer in Schachteln. Entomologische Opazität bei Freud, Celan und Haushofer. In: Giuriato, Davide u. Heller, Anatol (Hg.): Insektenpoesie. Grundzüge einer literarischen Entomologie. Stuttgart: Metzler 2025, S. 237–255.
- Narrating the Multiverse in Literature, Comics, and Film. Science Fiction Film and Television 17/2 (2024), S. 255–281.
Forschungsvorhaben: Weltenbildung. Literarisches Terraforming 1850–1950
Das Forschungsprojekt widmet sich deutschsprachigen literarischen Texten und Stummfilmproduktionen, die im 19. und 20. Jahrhundert klein- bis großflächige Umformungen der Erde verhandeln. Es erarbeitet damit die irdische Vorgeschichte jener Imaginarien, die seit Jack Williamsons Collision Orbit (1942) unter dem Begriff des Terraformings gefasst und als klassische Trope der Science-Fiction popularisiert worden sind.
Literarisches Terraforming, so die dem Projekt unterliegende Hypothese, produziert zwischen 1850 und 1950 mehrdimensionale Oppositionen zwischen menschlicher Arbeit und nicht-menschlichen Kräften. Diese Kräfte manifestieren sich in widersprüchlichen Formationen, z.B. als physikalische Energie, als extraterrestrische Kolonialisierung oder als personifizierte magische Helfer. Für deren Darstellung verlangt die Weltgestaltung wiederum nach unterschiedlichen Stilmitteln, sodass oftmals unvereinbare literarische Archetypen aus Märchen, Tragödie, Epos, sozialem Drama oder Science-Fiction referenziert werden. Weltenbildung wird hierdurch als ein ungleiches Kräftemessen diskutierbar – nicht nur zwischen ‚Kraft‘ als einer physikalischen, physiologischen und sozioökonomischen Größe, sondern ebenso zwischen dem innerliterarischen Worldbuilding und den gattungsgeschichtlichen Gelingensbedingungen von transclasse-Narrativen, welche für die Weltgestaltung überhaupt zur Verfügung stehen.
Ziel des Projekts ist es, die Verfahren zu identifizieren, anhand derer weltenbildende Literatur eine anhaltende und mehrdimensionale Opposition zwischen menschlicher Arbeit und nicht-menschlichen Kräften aufrechterhält. Das Forschungsvorhaben verschränkt und kontrastiert damit gezielt die Forschungsfelder von Environmental Studies, Labour Studies und Gattungstheorie. Ebenso erweitert es die zeitgenössische Forschung zu Worldbuilding aus ökokritizistischer bzw. anthropozäner Perspektive.