Barbara Bausch, M.A.
Vita
Barbara Bausch ist Literaturwissenschaftlerin und studierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie der Freien Universität Berlin. Als Lektorin der Robert Bosch Stiftung lehrte sie an der Universität Sumy in der Ukraine und führte dort sowie in Belarus internationale Kulturprojekte durch; anschließend war sie als Programmkoordinatorin für die Robert Bosch Stiftung und als freie Lektorin im Bereich Sachbuch und Belletristik tätig. Ab 2018 promovierte sie an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der FU Berlin und war 2019 als visiting scholar am Department of Germanic Studies der University of Chicago zu Gast. Ihre Dissertation zu Ror Wolfs ›Poetik der Störung‹ im Kontext experimentellen Prosaschreibens der 1950er bis 1980er Jahre schloss sie 2022 ab. Bis März 2023 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie an der FU Berlin. Ihre Forschungsinteressen umfassen unter anderem Prosaschreiben und Prosatheorie, Gegenwartsliteratur und Spielformen politischen Schreibens.
Publikationen (Auswahl)
- Standortbestimmungen. Strategien der Selbstpositionierung in der Gegenwartsliteratur, hrsg. mit Julia Weber, Reihe Edition AVL, Berlin 2023 [in Vorbereitung].
- Spielformen der Störung. Ror Wolfs radikaler Realismus im Kontext experimenteller Prosa der 1950er–1980er Jahre, Bielefeld 2023 [Dissertationsschrift, in Vorbereitung].
- „‛should I call it horror’? Reflecting Realism by exploring Contingency: Ror Wolf’s Adventure Series Pilzer und Pelzer”, in: Jens Elze, Realism: Origins, Challenges, and Politics, London 2022, S. 107–131.
- Vítězslav Nezval: Akrobat. Hrsg. u. mit einem Nachwort versehen v. Barbara Bausch u. Anna Luhn, übers. von Barbara Bausch u. Eva Dymáková, Leipzig 2021.
Forschungsvorhaben: Aufbegehren. Die Kraft der Form im politischen Schreiben der Gegenwart
In der Literatur der Gegenwart ist in den letzten Jahren verstärkt die Bearbeitung der Frage zu beobachten, wie sich auf aktuelle Weise politisch schreiben lässt. Gleichzeitig – und damit eng verknüpft – zeigt sie ein auffälliges Interesse an der Inszenierung von Kraft und Kraftlosigkeit. Ziel des Forschungsprojekts ist es, Texte der jüngsten Gegenwart (u.a. von Heike Geißler, Roman Ehrlich und Dorothee Elmiger) daraufhin zu untersuchen, wie in ihnen dieser Zusammenhang ins Werk gesetzt wird. Wie wird in ihnen das (Nicht-)Vorhandensein von Kraft, die Modulation von Kräften, die Verfügbarkeit oder die (Wieder-)Verfügbarmachung von Kraft verhandelt? Diese Fragen sind politisch grundiert: Im Nachdenken über Kraft und insbesondere über Kraftlosigkeit wird, wie gezeigt werden soll, eine empfundene Machtlosigkeit gegenüber bestehenden Verhältnissen zur Sprache gebracht und reflektiert. Im Kontext einer akuten Steigerung breit konstatierter und mediatisierter gesellschaftlicher Ohnmachtserfahrungen gegenüber politischen, gesellschaftlichen oder ökologischen Entwicklungen will das Projekt Spielräume eines ›literarischen Aufbegehrens‹ ausloten. Die leitende These, die hierbei verfolgt wird, ist, dass die Literatur der Gegenwart ihren Fokus – und vielleicht: ihre Hoffnung – in erster Linie auf die Kraft der Form als besondere (literarische) Potenz legt. Doch wie kann sich die Wirkkraft der Form konkret äußern, was kann sie mobilisieren oder bewirken? Und woraus generieren sich Kräfte des formalen Aufbegehrens in der Gegenwartsliteratur?
Forschungsergebnisse: Aufbegehren. Die Kraft der Form im politischen Schreiben der Gegenwart
In vielen Texten der Gegenwartsliteratur geht eine dargestellte Erschöpfung der Kräfte mit der Auslotung von avancierten Textformen jenseits klassischer littérature engagée einher, die auf einen Kraftakt der literarischen Produktion verweist. Beim Blick auf die untersuchten Texte, wie etwa Heike Geißlers Die Woche und Liegen. Eine Übung (beide 2022), Wolfram Lotz’ Heilige Schrift I (2022), Enis Macis WUNDER (2021) oder Dorothee Elmigers Aus der Zuckerfabrik (2020), ließen sich bei allen Unterschieden gemeinsame Charakteristika ausmachen. Erstens eine Inszenierung wie auch Infragestellung der Dichotomie von Aktivität und Passivität, die Passivität als Berührbarkeit bzw. Sensibilität, aber auch als Entzug als Modus des Engagements befragt. Zweitens eine Thematisierung und meist Neubewertung von Nichtwissen, das offensiv als Haltung der Figuren wie auch der Autor:innen ausgestellt und als produktiver Modus der Suche markiert wird. Drittens und daraus folgend eine offengehaltene Form, in der ein starkes Formbegehren mit der Instabilisierung tradierter Formen einhergeht. Diese Textorganisation in losen ‚Konstellationen‘, die ich mit Andrea Krauß als Darstellungs- und Lektürefiguren verstehe, lässt sich als Versuch lesen, Kraft- bzw. Machtlosigkeit und Nichtwissen in eine literarische Form zu überführen – und damit auch in einen Lektüremodus, der eine intensive, aktive, gestaltende Lektüre induziert, zugleich aber die Möglichkeit anderer Lektüren offenhält. Die in den Blick genommenen Texte versuchen (anstatt Dys- oder Utopien anzubieten) in der Lektüre Erfahrungs- und Reflexionsräume zu eröffnen, die den Blick in einem aufschauenden Lesen aus der textuell erschaffenen Welt hinaus und in die Gegenwart lenken. Sie rücken also maßgeblich das Lesen als ästhetische Praxis ins Zentrum der Aufmerksamkeit: als einen Vollzug, der als intrinsisch gemeinschaftsstiftende Praxis als Schauplatz der gesellschaftlichen Selbstverständigung gelten kann und im Idealfall über die Lektüre hinaus neue Kräfte generiert und in Gang setzt.