Dr. Nassima Sahraoui
Vita
Nassima Sahraoui ist eine Philosophin aus Frankfurt am Main. Sie studierte Philosophie, Politikwissenschaften und Soziologie sowie einige Semester Mittlere und Neuere Geschichte und Kunstgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Promotion hat sie mit einer Arbeit zur Dekonstruktion des Begriffs der dynamis (Vermögen, Möglichkeit, Kraft, Potentialität) am Institut für Philosophie abgeschlossen.
Sie war Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover und lehrte am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Goethe Universität Frankfurt sowie Gesellschaftstheorie und Ethik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sie war zudem Koordinatorin und Assistentin des Promotionsbereichs der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach am Main und Lektorin für den S. Fischer Verlag.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Politischen Theorie, an den Schnittstellen zwischen Philosophie und Literatur, der Philosophie der Geschichte und Geschichte der Philosophie, Kritischen Theorie und Dekonstruktion und bei Autoren wie Hannah Arendt, Walter Benjamin, Jacques Derrida und Martin Heidegger. Derzeit bereitet Nassima Sahraoui die Publikation ihrer Monografie zum Begriff der dynamis vor. Zudem arbeitet sie an einem interdisziplinären Projekt über Formen und Figuren des Widerstandes.
Darüber hinaus ist Nassima Sahraoui Gründungsmitglied zweier internationaler Workshopreihen: eine zum Begriff der Gewalt Violence in Literature and Philosophy und die andere zu Walter Benjamins Philosophie und hat mit zahlreichen Forschungsinstituten und Wissenschaftlern kooperiert. Sie ist regelmäßig zu Vorträgen auf Konferenzen und Symposien rund um den Globus eingeladen.
Publikationen (Auswahl):
- Dynamis. Studien zu einer materialistischen Philosophie der Differenz von Aristoteles bis Jacques Derrida, Bielefeld: Transcript (in Vorbereitung).
- „Wendungen. Zur Destruktion der Destruktion der Philosophie (Heidegger und Benjamin)“, in: Jessica Nitsche, Nadine Werner (Hg.): Entwendungen. Benjamin und seine Quellen, München: Fink Verlag 2019.
- Thinking in Constellations. Walter Benjamin in the Humanities, hg. mit Caroline Sauter, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2018.
- „Über das Verhältnis von Arbeit und Muße. Eine Philosophie der Faulheit“, in: Konrad Paul Liessmann (Hg.): Mut zur Faulheit. Die Arbeit und ihr Schicksal, Philosophicum Lech Bd. 20, Wien: Zsolnay 2018.
- “A Crystal of Time. (Political) Reflections towards a History of the Now”, in: Anthropology & Materialism. A Journal of Social Research, Special Edition: “Discontinuous Infinities. Walter Benjamin and Philosophy”, hg. v. Jan Sieber, Sebastian Truskolaski, März 2017.
- The Present of Deconstruction, hg. mit Geoffrey Bennington, Thomas Telios, Felix Trautmann, Oxford Literary Review vol. 36/1, Edinburgh: Edinburgh University Press 2014.
- Kleine Philosophie der Faulheit, hg. mit David Dilmaghani, Frankfurt: S. Fischer 2012.
Forschungsvorhaben: Figuren des Widerstandes. Studien zu einer neuen Form politischer Praxis / Dynamis – Studien zu einer materialistischen Philosophie der Differenz
Figuren des Widerstandes. Studien zu einer neuen Form politischer Praxis (Arbeitstitel)
Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens möchte ich den ebenso provokanten wie umstrittenen Begriff des Widerstandes aus ideen- und kulturgeschichtlicher, sozioökonomischer, ästhetischer und literaturgeschichtlicher Perspektive dekonstruieren und für eine kritische gesellschaftspolitische Analyse fruchtbar machen. Dabei gehe ich von folgender grundlegenden Frage aus: Wie ist Widerstand angesichts der gegenwärtigen Lage unserer Welt überhaupt noch möglich? Können wir in einer so strukturierten Welt Begriffe und Praktiken extrahieren, in denen ein Moment der Freiheit und der Authentizität für uns erfahrbar und eine Lebensform jenseits der ökonomischen Dynamiken und populistischen Tendenzen denkbar wird?
Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich mich exemplarisch einigen Figuren und Formen zuwenden, die ein immanentes Moment des Widerstandes enthalten. Einfließen werden dabei klassische philosophische Diskurse über Melancholie und Muße genauso wie die die Aporien von Zeit, Raum und Wahrnehmung. Ein weiterer zentraler Zugang wird sich über politische und künstlerisch-ästhetische Diskussionen über das Verhältnis von Gemeinschaft und Einzelnen, über Macht, Recht, Freiheit, Gleichheit und Verantwortung sowie über Formen politischer und künstlerischer Widerstandsbewegungen – bis hin zu ihren literarischen Ausbuchstabierungen – ergeben.
Alle diese Begriffe, Phänomene und Praktiken beinhalten auf je eigene Weise einen Moment immanenter Widerständigkeit Kraft derer es gelingen könnte, sich jenem stetigen Sog, der entlang der politischen und ökonomischen Zeitachse entsteht und der die subjektiven Kräfte absorbiert, zu entziehen. Durch ihre Analyse könnte es gelingen die geltende soziale, politische und ökonomische Ordnung zu justieren und so zur Formulierung einer Gesellschaftskritik zu gelangen, welche sowohl das Verhältnis zwischen individueller Praxis und gesellschaftlicher Totalität als auch die historischen Prozesse und Dynamiken in den Blick nimmt.
Dynamis – Studien zu einer materialistischen Philosophie der Differenz
Ferner arbeite ich derzeit an der Fertigstellung des Manuskripts Dynamis – Studien zu einer materialistischen Philosophie der Differenz. Der methodische Schwerpunkt des Buches ist interdisziplinär angelegt und deckt die Felder der Politischen Theorie und Ideengeschichte, der Geschichtsphilosophie, der Philosophie des 20. Jahrhunderts wie auch der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft ab.
In ihm analysiere ich unter genealogischem Rückgriff auf Aristoteles’ dynamis-Begriff (Vermögen, Kraft, Möglichkeit, Potentialität) den relationalen Zwischenraum des Umschlags von etwas Potentiellem in seine Verwirklichung. Anhand einer materialistischen und dekonstruktiven Lesart neuerer Philosophien (wie die von Martin Heidegger, Ernst Bloch, Jaques Derrida oder Giorgio Agamben) diskutiere ich, wie dieser Zwischenraum des Umschlags von einem Vermögen in seine Verwirklichung für eine kritische Deutung gegenwärtiger historisch-politischer Phänomene aktualisiert werden kann.
Diese Aktualisierung erfolgt durch die Dekonstruktion einschlägiger Begriffe und Konzepte der philosophischen Ideengeschichte, wie Metaphysik, Analogie, Metapher oder auch Aporie. Durch diese Dekonstruktion erweist sich letztlich, dass dieser Zwischenraum ein Moment der Freiheit enthält, welches – so gelesen – unmittelbare Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie wir geschichtliche und politische Prozesse betrachten und beurteilen.