Wilma Scheschonk, M.A.
Vita
Wilma Margarete Scheschonk hat in Oldenburg, Santiago de Chile und Hamburg Kultur-, Medienwissenschaften und Kunstgeschichte studiert. Ihr Dissertationsprojekt "Kraft – Ausdauer – Beweglichkeit. Künstler-Fitness seit der Frühen Neuzeit" (Erstbetreuer: Prof. Dr. Frank Fehrenbach) setzt sie bis September 2019 als Junior-Fellow bei der DFG Kolleg-Forschungsgruppe Imaginarien der Kraft fort.
Seit 2016 wurde ihre Promotion durch das Stipendium der Stadt Hamburg für das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und durch den SFB Helden – Heroisierungen – Heroismen an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg gefördert. Als Co-Organisatorin des Workshops "Strained Bodies. Physical Tension in Science and Art" in der Eres-Stiftung München konnte sie mit internationalen Teilnehmenden über Semantiken der Körperkraft seit dem 19. Jahrhundert reflektieren.
Ihre Masterarbeit zum Thema Intermedialität im Fotobuch „Los últimos Días de Franco vistos en TVE“ (1975) wurde vom Verein der Freunde und Förderer des Kunstgeschichtlichen Seminars Hamburg e.V. als beste Abschlussarbeit 2017 ausgezeichnet. Als kuratorische Assistentin hat Wilma Scheschonk 2012 am Edith-Russ-Haus für Medienkunst (Oldenburg) an verschiedenen Ausstellungsprojekten und Katalogpublikationen mitgewirkt.
Publikationen (Auswahl):
- "Jeff Koons is back. Das Atelier als Kraftraum", in: Gockel, Bettina (Hg.): „Studies in Theory and History of Photography“. Berlin: De Gruyter, 2019 (in Druck). [= Aufsatz im Band zum gleichnamigen wissenschaftlichen Symposium im Rahmen der Ausstellung „Künstler Komplex. Fotografische Porträts von Baselitz bis Warhol“, Museum für Fotografie Berlin].
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"Unermüdliche Schaffenskraft. Athletische Künstler in der Moderne", in: Zentralinstitut für Kunstgeschichte – Jahresbericht 2016 (Hg. Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München).
- "'A globe is always achieved too fast' – Bildstrategien der Entschleunigung in Armin Linkes Film-Forschungsprojekt Alpi (2011)", in: Ethnoscripts. Zeitschrift des Instituts für Ethnologie, 17/1 (2015), S. 31-57.
Forschungsvorhaben: Kraft – Ausdauer – Beweglichkeit. Künstler-Fitness seit der Frühen Neuzeit
Die komplexen Wirkkräfte der Kunst finden in der Geschichte der Kunst gelegentlich eine erstaunlich buchstäbliche Entsprechung in der schieren Körperkraft des Künstlers. Bereits seit der Kanonisierung der europäischen Künste in der Frühen Neuzeit werden in Kunstliteraturen und Künstlerbiographik teils dynamische Übertragungen und Äquivalenzbeziehungen zwischen physischen Vermögen des (lange vorrangig männlichen) Künstlers und den topischen »Kräften« künstlerischer Produkte etabliert.
Leonardos in Künstleranekdoten kolportierte Fähigkeit, Hufeisen wie Blei zu verbiegen, zeichnet das Bild eines auch physisch durchsetzungsfähigen Genies. Mit großer Kontinuität wurde seither diese »Künstler-Fitness« zur Abgrenzung gegen andere physiologische Dispositive schöpferischen Tuns künstlermythisch in Stellung gebracht, indem etwa durch körperliche Ausdauerleistungen melancholische Handlungshemmungen oder andere Degenerationshypothesen abgewehrt wurden. Und Vorstellungen einer leiblichen Potenzierung der künstlerischen Wahrnehmung werden durch Beweglichkeit und Ausdauer erprobt.
Vor dem Hintergrund variierender Semantiken und wissenschaftshistorischer Grundlagen der Kraft werden die teils erstaunlichen Vorwegnahmen von Vorstellungen der Energieerhaltung, vom Kräfteüberschuss und auch der utopischen Energieerneuerung durch den Künstlerkörper herausgearbeitet und bis in aktuelle, künstlerische Positionen nachverfolgt. Auch aktuell und in expliziten Rekursen auf »Fitness« durch KünstlerInnen erschöpft sich deren Bedeutung nicht in der Erweiterungsgeste von Körperübung als Kunst oder im Verweis auf neoliberale Zwänge zum Bestehen im permanenten Wettstreit. Vielmehr wird sie nach wie vor auch in ihren Verbindungen zu den tieferliegenden Triebkräften künstlerischen Handelns und dem auch körperlich induzierten Prozess des Künstlerwerdens aufgerufen.
Forschungsergebnisse: Kraft – Ausdauer – Beweglichkeit. Künstler-Fitness seit der Frühen Neuzeit
Ebenso wie es eine erstaunliche Geschichte der Vorwegnahmen von Vorstellungen der Energieerhaltung gibt, zeigt sich bis in die industrialisierte Moderne hinein ein kontinuierliches Interesse an außerordentlichen Kraftphänomenen. Gemeint sind Kraftzusammenhänge, die sich der im Energieerhaltungssatz implizierten Proportionalität von Ursache und Wirkung zu entziehen scheinen. Als Beispiele seien die selbsttätige Schwungkraft als „Kraft der Bewegung selbst“, unverhältnismäßige Effekte auf der Basis minimaler Initiationsenergien wie „Induktion“ und „Auslösung“, oder auch solche Verheißungen genannt, welche von striktem Haushalten mit Energieressourcen zur geradezu mirakulösen Ausgrenzung von Ermüdung und entropischem Verlust ausgehen konnten und die Möglichkeit der „Energieerzeugung“ in Aussicht stellten.
Diesen immensen Kraftäußerungen gemein ist, dass sie im Feld der Künste zum Fortschreiben eines traditionell nach oben offenen Leistungsideals herangezogen wurden, das in der Moderne vermehrt auf die körperlichen Fähigkeiten kapriziert werden konnte, wie ich in meiner Forschungsarbeit zeige. Darin untersuche ich Prinzipien belebender Selbstverstärkung und Vorstellungen der erneuerbaren Energien innerhalb des historischen Körpers künstlerischer Produktion. War beispielsweise in Immanuel Kants Vorstellung vom genialen Geist dieser in Bewegung versetzt worden, die sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt, wird bis in die Spätmoderne durch den physischen Körper ein solches utopisches, ungebremstes Arbeitspotenzial erprobt.