Dr. Dariya Manova
Vita
Dariya Manova ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Sie studierte Deutsche Literatur und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Mitglied des binationalen Promotionsprogramms PhD-Network „Das Wissen der Literatur“ war sie 2016 als Gastwissenschaftlerin am German Department der UC Berkeley. Ihre Dissertation zu Rohstoffnarrativen, Erdöl- und Kohleerzählungen in der Populärliteratur und Publizistik der deutschen Zwischenkriegszeit schloss sie 2019 ab. Für die Monographie, die unter dem Titel „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit im Wallstein Verlag 2021 erschien, erhielt sie den Scherer-Preis. Bis September 2021 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen New Materialism, Literatur und Umwelt, Literatur der Arbeitswelt sowie Popularitäts- und Jugenddiskurse seit dem 19. Jahrhundert.
Publikationen (Auswahl)
- „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit, Göttingen 2021.
- Ölbrand. Zerstörungsphantasien aus den frühen Tagen der Petroleumindustrie, in: Zeitschrift für Germanistik, Themenheft Unzuverlässiges Erzählen, 2021/1, S. 122–138.
- Ewige Adoleszenz. Wohnungs- und Sinnsuche im deutschen Gegenwartsroman, in: Studia Philologica, 39/3 (2020), S. 187–198.
- Abenteuerstoffe, in: Martin von Koppenfels, Manuel Mühlbacher (Hg.): Abenteuer: Erzählmuster, Formprinzip, Genre, Paderborn 2019, S. 213–235.
- „Rohstoff für den ‚Roman‘“. Ressourcen und Infrastruktur in B. Travens Abenteuerromanen, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 91/1 (2017), S. 51–71.
Forschungsvorhaben: Jugend – Literatur – Zeitschrift. Kraft und Kraftlosigkeit der Jugend in Zeitschriften der Jahrhundertwende
Welche Kraftvorstellungen die literarische und künstlerische Produktion der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert mit einem historisch gewachsenen Verständnis von Jugend und Jugendlichkeit verbindet, möchte ich im Projekt untersuchen. Dabei soll das Medium und Publikationsort Zeitschrift eine hervorgehobene Rolle haben. Zentrale Hypothese des Projekts ist, dass Zeitschriften um die Jahrhundertwende als „Archive in Serie“ (Stockinger, Scherer 2016) zu Orten und Medien der besonderen, kreativen Kräfte und jugendlichen Energie stilisiert werden. Dabei ist Jugend oft vom biologischen Alter abgekoppelt und davon unabhängig, wird zeitlos und zu Leitmetapher, literarischem und künstlerischem Programm. Analysiert werden soll, inwiefern und durch welche inhaltliche und formelle Entscheidungen diе angekündigten Programme eingelöst werden und demnach mit welchen publizistischen und literarischen Eigenschaften die Jugend gleichgesetzt wird.
Grundlage für die Überlegungen und Analysen sollen ausgewählte frühe Jahrgänge der Zeitschriften Jugend (1896–1940), Simplicissimus (1896–1944) und Pan (1895–1900) bilden. So sollen Peri- und Epitexte, einzelne Nummern und/oder Text-Bild-Beispiele herangezogen werden, um die Bedeutung des Konnexes zwischen Jugend und jugendlicher Kraft und dem Medium der Literatur- und Kulturzeitschrift herauszuarbeiten.
Anhand der unterschiedlichen Vertriebs- und Vermarktungsstrategien der Zeitschriften, die das Projekt einer ewigen Jugend wahlweise und mit unterschiedlichem Impetus möglichst zugänglich oder aber exklusiv hielten, gilt es auch zu untersuchen, wie die Jugendkraft zum kulturellen und vor allem auch käuflichen Produkt wird. In diesem Kontext spielt das Verhältnis der Zeitschriften und ihrer Programme zum literarischen Kanon ebenso eine Rolle wie der publizistische Auftritt unbekannter junger AutorInnen.
Forschungsergebnisse: Jugend – Literatur – Zeitschrift. Kraft und Kraftlosigkeit der Jugend in Zeitschriften der Jahrhundertwende
Ausgangspunkt der Recherchen und Arbeit am Kolleg war die Beobachtung, dass sich historische Jugendkonzepte und publizistische Praktiken in Zeitschriften der Jahrhundertwende gegenseitig bedingen und bereichern. Eine meiner leitenden Forschungsfragen war vor diesem Hintergrund die nach den publizistischen Entscheidungen, die zur Entwicklung des Mythos Jugend beigetragen haben bzw. nach der Auslegung dieses vagen Konzepts auf den Seiten der Zeitschriften mittels einer emphatischen Rhetorik der Kraft.
Meine Arbeit mit Quellenmaterial und historischen, soziologischen und literaturhistorischen Forschungsarbeiten hat verdeutlicht, dass die signifikant gewachsene Anzahl von Zeitschriftenneugründungen um die Jahrhundertwende parallel zu und nicht unabhängig von der Popularisierung eines Diskurses der Jugendlichkeit zu verstehen ist. Die ersten Jahrgänge von Zeitschriftenprojekten wie Jugend (1896–1940), Ver Sacrum (1898–1903), aber auch Pan (1895–1900) und Simplicissimus (1896–1944) haben maßgeblich zur Ästhetisierung jugendlichen Lebens und Idealisierung der Jugend in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beigetragen. An ihren Programmen, ihrer Gestaltung, den in Form und Inhalt extrem heterogenen Beiträgen sowie an den Eigen- und Fremdzuschreibungen der BeiträgerInnen ist die bereits topisch gewordene Beobachtung, dass Jugend um die Jahrhundertwende zum Mythos und Träger unterschiedlicher ideologischer Bedeutungen anwächst, zu präzisieren.
Dabei ist im Vergleich von Zeitschriftenankündigungen, Text-Bild-Formationen, vertretenen Gattungen, Autorinnen und Autoren die herausragende Rolle der Zeitschrift Jugend noch einmal deutlich geworden. Denn gerade in der Aufnahme und Umfunktionierung bestimmter Rhetoriken und Praktiken der Kulturpublizistik um 1890 ist den Gründern Georg Hirth und Fritz von Ostini eine radikale Öffnung und Radikalisierung des Konzepts „Jugend“ gelungen. Im Gegensatz zu den zeitgenössischen Bestrebungen der Biologie und Gesetzgebung, Jugend bindend zu definieren, haben sie den Anspruch auf Kräftigung, Revitalisierung und Neuordnung der literarisch-künstlerischen Szene, der bereits in den Programmen von Die Gesellschaft (1885–1902), Der Kunstwart (1887–1937), Blätter für die Kunst (1892–1919) oder Ver Sacrum (1898–1903) angelegt war, zum exklusiven Recht einer inklusiven, sich wöchentlich auf den Seiten der Zeitschrift neuerfindenden Jugend zugespitzt.