Thomas Moser, M.A.
Vita
Thomas Moser hat Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur in München, Wien und Paris studiert. Das Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel ‚Die Physiologie der Kunst. Körper und somatische Kunsterfahrung im Fin de Siècle‘ (betreut von Hubertus Kohle (LMU) und Philippe Cordez (DFK Paris)) verfolgt er bis März 2020 als Junior-Fellow bei der DFG-Kollegforschergruppe ‚Imaginarien der Kraft‘.
Das Projekt wurde durch Stipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Gerda Henkel Stiftung unterstützt. Weitere Förderung erging unter anderem durch das Institut nationale de l’art, das Dahesh Museum of Art in New York, die Association of Historians of Nineteenth-Century Art und das GraduateCenterLMU. An die Affiliation als assoziierter Doktorand der Nachwuchsforschergruppe ‚Vormoderne Objekte. Eine Archäologie der Erfahrung‘ schloss sich 2018 ein Gastaufenthalt am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris an. 2020 folgt ein Aufenthalt am Warburg Institute in London.
Künstlerische Auseinandersetzungen mit physikalischen und kreativen Kräften konnten bereits auf den jüngst co-organisierten internationalen Tagungen und Workshops ‚Straines Bodies. Physical Tension in Art and Science‘ (gemeinsam mit Wilma Scheschonk), ‚Objects & Organisms. Vivification, Reification, Transformation‘ (mit Ella Beaucamp und Romana Kaske) sowie ‚Fingerspitzengefühl‘ (mit Andrea Haarer und Matthias Krüger) reflektiert werden. Außerdem war Thomas Moser an der 2019 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden eröffneten Dauerausstellung ‚Jugendstil. Sammlung F. W. Neess‘ beteiligt.
Publikationen (Auswahl)
- „The secret life of lamps. Mucha, Nancy, and the galvanic élan vital“, in: Beaucamp, Ella/Kaske, Romana/Moser, Thomas (Hg.): Objects & Organisms. Vivification, Reification, Transformation, München 2020. (im Erscheinen begriffen)
- „Everybody’s darling. A male artist society grasping for Loïe Fuller“, in: Dekeukeleire, Thijs (Hg.): Male bonds in nineteenth-century art, Leuven 2020. (im Erscheinen begriffen)
- „Der Eros der Natur in Bronze. Bildhauerische Erzeugnisse und Objets d‘art des Art Nouveau“, in: Forster, Peter/Panchaud, Sabine (Hg.): Radikal Schön. Jugendstil und Symbolismus, Kat. Ausst., Berlin/München 2019, S. 382-429.
- „Objektkultur um 1900. Der Tastsinn in Décadence und Wissenschaft“, in: Seidl, Ernst/Steinheimer, Frank/Weber, Cornelia (Hg.): Objektkulturen der Sichtbarmachung. Instrumente und Praktiken, Berlin 2018, S. 83-90.
- „Das Primat des Körpers. Eine Psychophysiologie der Schmerzerotik im Fin de Siècle“, Ausgewählte Studienabschlussarbeiten der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2016, https://epub.ub.uni-muenchen.de/26093/.
Forschungsvorhaben: Die Physiologie der Kunst. Körper und sinnliche Kunstwahrnehmung im Fin de Siècle
Ziel des Projekts ist zu zeigen, dass der menschliche Körper in seiner physiologischen Präsenz in der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine tragende Rolle gespielt hat. Die zentrale Hypothese ist dabei, dass die leibhaften Sinnesempfindungen im Kontext einer zunehmend physiologisch geprägten Ästhetik aufgewertet werden und so eine somatische Kunsterfahrung in Konkurrenz zur idealistisch-geistigen tritt. Für den Zeitraum zwischen 1880 und 1910 sollen drei Formen des Embodiment in den bildenden Künsten als wesentlich herausgearbeitet und charakterisiert werden: Die Nobilitierung des taktilen Sensoriums in den Künsten, die prononcierte Auseinandersetzung mit Körper- und Schwerkraft sowie die ubiquitäre Darstellung explizit physischer Schmerzerfahrungen.
Damit soll das Projekt gleichzeitig einen Beitrag zur jüngeren Forschung über die Rolle des Körpers und leiblicher Kognition in den Künsten liefern und sich gleichsam in eine körperbewusste Lesart der Moderne eingliedern, die neostrukturalistisch-sinnpessimistischen Narrativen als einer Geschichte zunehmender Körperabstinenz auf dem Weg zur Abstraktion komplementär gegenübersteht.
Eine ausdrückliche Herausforderung liegt in der besonderen Berücksichtigung objekthafter Kunstwerke, die bislang lediglich in der Sphäre kunsthistorischen connoisseurships betrachtet wurden. Durch eine Anbindung an den geistes- und vor allem wissenschaftsgeschichtlichen Diskurshorizont ihrer Gegenwart, sollen neue Erkenntnisse für die Objektkultur der Moderne gewonnen werden.
Forschungsergebnisse: Die Physiologie der Kunst. Körper und sinnliche Kunstwahrnehmung im Fin de Siècle
Beginnend mit dem Winter 1892 hat Loïe Fuller ihren eigenen Körper Abend um Abend in Bewegung versetzt und ihm ihr außergewöhnliches, elektrotechnisches Knowhow einverleibt, doch für das Publikum blieben die Schleier opak. Dass ihr Serpentinentanz die repräsentativen Qualitäten einer kontingenten Körperschau zurückgestellt hat, machte ihn indes nicht weniger zu einem thermodynamischen Musterfall als die physiologische Plastik von Paul Richer, Rupert Carabin oder Jean Baffier. Ob als getanzte Flamme, Lilie oder reines Ornament – Fullers human motor performte unaufhörlich die Umwandlung von Kraft in Form. Dass dies auf Kosten ihres Körpers möglich wurde, trifft auf seinen Gesundheitszustand zu, nicht jedoch auf seine Bühnenpräsenz.
Die Faszination für diese Metamorphosen beruht auf den Leistungsgrenzen des beobachtenden Sehapparats, der die raschen Abläufe nicht vollständig erfassen konnte. Während die Bewegungsphysiologie zeitgleich demselben Problem gegenüberstand, weisen insbesondere serielle künstlerische Lösungen Züge der in der Physiologie hierfür erprobten Chronofotografie auf. Einmal im statischen Kunstwerk domestiziert, wird die strukturelle Verwandtschaft der händisch angetriebenen Stoffdraperie mit Étienne-Jules Mareys méthode graphique weithin sichtbar. Die prominent von van de Velde und Marey angenommene Kausalität von Kraft und Linie machte die Serpentinentänze zuletzt selbst als grafische Linienkompositionen und Kraftgeflechte lesbar. Eine etwaig konsistente oder akkurate Abbildung der méthode graphique oder der Chronofotografie ist von vornherein weder in Fullers Auftritten noch in den Künsten von Belang gewesen. Die ungeheuerlichen Tänze der Amerikanerin haben sich vielmehr als beispiellose Projektionsfläche und gleichermaßen produktiver Dynamo für das Nachdenken der Belle Époque über ineinander verstrickte Fragen des Körpers, der Kraft, Bewegung und Form erwiesen. Dabei hat der Serpentinentanz nicht lediglich als gemeinsamer Ort von künstlerischer Praxis, Ästhetik und Physiologie fungiert, sondern auch als zwischen ihnen vermittelndes und Austauschprozesse beflügelndes Scharnier.