Clemens Finkelstein, M.Des./M.A.
Vita
Clemens Finkelstein ist Ph.D. Kandidat an der Princeton University. Er erhielt einen B.A. in Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften von der Humboldt-Universität zu Berlin, einen M.Des. in Geschichte und Philosophie des Designs von der Harvard University und einen M.A. in Geschichte und Theorie der Architektur von der Princeton University. Seine Doktorarbeit befasst sich mit gebauten und natürlichen Umwelten an der Schnittstelle von Kunst- und Architekturgeschichte mit Wissenschafts- und Technologiegeschichte. Seine Arbeit wurde unter anderem vom Andlinger Center for Energy and the Environment, der History of Science Society und der Princeton-Mellon Initiative in Architecture, Urbanism & the Humanities unterstützt. Er hat viel als Redakteur, Wissenschaftlicher Koordinator (M+M Princeton University) und Kurator (A+D Architecture and Design Museum, Los Angeles) gearbeitet. Seine Artikel und Rezensionen sind in mehreren Zeitschriften und Sammelbänden erschienen, darunter The Sound of Architecture (2022), Iconology of Abstraction (2020), Journal of Design History, Journal of the Society of Architectural Historians und Technology & Culture. Er ist Fulbright Scholar, erhielt eine Auszeichnung für herausragende Leistungen von der Harvard University (2015-2017), das Lowell M. Palmer Fellowship der Princeton University (2018-2019), ist Planetary Scholar am Panel on Planetary Thinking (Justus-Liebig-Universität Gießen, 2022), Junior Fellow an der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Imaginarien of Kraft“ (Universität Hamburg, 2022-2023) und Berlin Program Fellow an der Freien Universität Berlin (2023-2024).
Publikationen (Auswahl)
- Vibe, c. 1969: The Technicity of Operative Ambience in Jimi Hendrix’s Electric Lady Studios. In: Angeliki Sioli, Elisavet Kiourtsoglou (Hg.): The Sound of Architecture: Acoustic Atmospheres in Place. Leuven 2022, S. 71-86.
- Planetary Disequilibrium. In: e-flux architecture, Beatriz Colomina (Hg.): Sick Architecture Series (2022).
- Crafting Interiority, or the Evolutionary Objectivity of Vibrating Worlds. In: react/review: a responsive journal for art & architecture 2 (2022), S. 26-56.
- Spatializing Imponderables: Vibratory Logics of Environmental Control. In: trans 40: Phantasma (2022), S. 47-52.
- Vibrascapes: Contact Zones and Planetary Media. In: koozArch (2022).
- Towards a Transsensorial Technology of Abstraction. In: Krešimir Purgar (Hg.): The Iconology of Abstraction: Non-Figurative Images and the Modern World [Routledge Advances in Art and Visual Studies]. London/New York 2020, S. 193-207.
- Sinnesübungen für Datatopia: Die Transgenese in Ryoji Ikedas Werk. In: ARCH+ 234, Projekt Bauhaus 3: Datatopia (2019), S. 20-23.
Forschungsvorhaben: Planetare Urkraft: Vibration als Phänomenotechnik in den Raumkonzeptionen der Moderne
Die systemischen Grenzen der Umwelt verwischten um 1900 zunehmend durch das schwer fassbare Phänomen der Vibration. In der Globalgeschichte spiegelt sich ein ambivalentes Verhältnis zur Vibrationskraft sowohl in industriellen wie indigenen Epistemologien wider, stets oszillierend zwischen intellektueller Anziehungskraft und existenziellem Terror. Als Naturgewalt verantwortlich für apokalyptische Verwüstung oder den lebensgebenden Impuls von Organismen, führte das transformative Potenzial der Vibration dazu, dass Forscher aus den verschiedensten Disziplinen diese als planetare Urkraft beschrieben. Geistes- und naturwissenschaftliche Imaginarien umfassend, wurde Vibration zu einem allgegenwärtigen Indikator für Umweltbeziehungen. Ob in der Geophysik, wo dessen epistemisches Potenzial zur Erforschung des Erdinneren diente; der Kunst, wo dessen ästhetische Modulation an der Schwelle menschlicher Wahrnehmung geschätzt wurde; der Architektur, die modernes Bauen durch dessen Techniken ermöglichte; oder der Quantenmechanik, die die Realität in dessen Frequenzen zerlegte, die Jahrhundertwende markiert einen Moment, in dem die Welt als aus Vibrationen zusammengesetzt erscheint. Das Forschungsvorhaben zeichnet die komplexe Beziehung der modernen Architektur zur Vibration als Phänomenotechnik nach und erschließt die anthropogene Operationalisierung des physikalischen Phänomens zur Designtechnik. Im Vordergrund steht der dynamische Austausch zwischen den modernen Raumkonzeptionen der Architektur, Lebens- und Geowissenschaften im deutschsprachigen Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts.
Forschungsergebnisse: Umweltkraft: Phänomenotechnik und materialisierte Kosmologien der Vibration
Disziplinübergreifend beschäftigten sich Geistes- und Naturwissenschaften um 1900 zunehmend mit den materiellen und immateriellen Einflüssen der Vibration, die, als eine originäre Urkraft des Planeten erschlossen, nicht nur das Antlitz der Erde gestaltet, sondern lebensspendende, formgebende Prozesse ihrer Bewohner:innen steuert, sowie ontologische Relationen zwischen dem Organischen und dem Anorganischen verhandelt. Das verwobene morphologische und pathologische Verständnis der Vibrationskraft in den Umweltkonzeptionen der Architektur sowie den Lebens- und Geowissenschaften kann vornehmlich an den materialisierten Kosmologien abgelesen werden, die deren disziplinären Prozesse hervorbringen. Im Rahmen meines Fellowships in der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe konnte ich zwei epistemologische Stränge der historischen Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und Verwertung der Vibrationskraft untersuchen: die planetaren Kraftfelder der Geophysik und die menschliche Kraftwahrnehmung in der Neurophysiologie und Psychologie des frühen 20. Jahrhunderts.
Während sich physikalische Wissenschaften von anthropomorphen Wirklichkeitskonzepten abwendeten, um die, technowissenschaftlich ermöglichte, objektivierte Aufschlüsselung der Welt in Vibrationsfrequenzen voranzutreiben, strebten Neurophysiologen und Psychologen den Menschen als Kraftsensor der Umwelt zu reintegrieren. Letztere suchten experimentell nach einem menschlichen Vibrationssinn sui generis, der, evolutionsbedingt atrophiert, erneut ausgebildet werden sollte, um modernen Menschen der Industriegesellschaft Wissen über ihre immer stärker vibrierende Umgebung zu liefern. Ähnlich unterstützt durch moderne wissenschaftliche Instrumente, zeichneten Geophysiker um 1900 eine dem Erdkörper entweichende Vibration nach der anderen den inneren Aufbau des Planeten nach. Durch die Betrachtung materieller Bedingungen sowie immaterieller Techniken der Vibrationskraft, konnte ich während meiner Zeit in der Kolleg-Forschungsgruppe den überlagerten geistes- und naturwissenschaftlichen Imaginarien sowie der transdisziplinär fluktuierenden Kraftkonzepte zwischen natürlicher Erscheinung und artifizieller Produktion von Vibration nachgehen: dem Umweltmachen.