Micheluzzi: Geschlagener Schatten. Kraftvoller als Licht und dennoch Mangel
Dr. Gerd Mathias Micheluzzi: Geschlagener Schatten. Kraftvoller als Licht und dennoch Mangel
Nach Leonardo da Vinci ist das ambivalente Phänomen des Schattens für sich genommen zwar ein Mangel an Licht (privatione di luce), zugleich aber von größerer Kraft (di maggiore potenzia), da er Körper vollständig verhüllt, während bei jeglicher Beleuchtung immer Schatten bleibt. Die kraftvolle Natur des Schattens offenbart sich insbesondere auch dort, wo Leonardo vom Schlag oder Anprall (percussione) einer sehr spezifischen Form des Schattens spricht: dem sogenannten Schlagschatten.
Als vim naturae bzw. als privatio firmiert der Schlagschatten bereits in mittelalterlichen Quellen, wobei Letzteres in Abhängigkeit vom aristotelischen Hylemorphismus zu denken ist: als akzidentieller Mangel, welcher der Materie beigegeben dieser die Potenz verleiht, eine auf das Sein gerichtete dynamis zu entfalten – im Falle des Schattens auf eine potenzielle Lichtgegebenheit. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Koinzidenz der vor allem im franziskanischen Umfeld des 13. Jahrhunderts vorangetriebenen Optik mit einigen sehr pointiert zum Ausdruck gebrachten trecentesken Darstellungen des Schlagschattens in Zentralitalien.
Ziel des vor Kurzem abgeschlossenen kunsthistorischen Projektes war es, diese Verbindungslinien offenzulegen und zugleich anhand mehrerer Fallstudien zu zeigen, dass eine Auseinandersetzung mit der vim naturae des Schlagschattens bereits im Vorfeld seiner vermeintlichen Wiederkehr in der Malerei des frühen 15. Jahrhunderts unter spezifischen Voraussetzungen erfolgte.