Soytek: Fuzzy Force. Po(i)etiken der Unbestimmtheit in Literatur und Theoriebildung der Moderne
Dr. Julia Soytek: Fuzzy Force. Po(i)etiken der Unbestimmtheit in Literatur und Theoriebildung der Moderne
In historischen Diskursivierungen von Kraft scheint ein Aspekt ebenso persistent wie prekär zu sein: Kraft lässt sich an ihren Wirkungen ablesen, ihre genaue Operativität aber bleibt der Beobachtung entzogen. Kurzum: Kraft ist notorisch unbestimmt.
Während dieser Aspekt im Zuge der Moderne besonders von den mathematisierten Naturwissenschaften nachhaltig kritisiert wurde, scheinen Literatur und Ästhetik einen anderen Weg zu gehen. Hier finden sich nicht nur Aussageereignisse, die begrifflich um das ,dunkle‘ Wirken von Kräften kreisen. Vielmehr emergieren zeitgleich Konzepte und Poetiken, in denen Unbestimmtheit zum zentralen po(i)etischen Verfahrensmodus wird.
Ausgehend von diesem Befund fokussiert das Projekt den operativen Nexus zwischen Kraft und Unbestimmtheit (vorrangig) ab dem 20. Jahrhundert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der (tatsächlichen oder attestierten) Möglichkeit, mittels Verfahren der Unbestimmtheit ,grenzüberschreitende‘ soziopolitische Kohäsionskräfte zu generieren. Dies macht es möglich, künstlerische Phänomene wie etwa den Dadaismus neu zu perspektivieren, der antagonistische Kraftbegriffe über gezielte Modi der Veruneindeutigung in transnationale Formen der Gemeinschaftsstiftung überführt. Es legt zudem die theoriegeschichtliche Relektüre von Konzeptualisierungen nahe, in denen über Formen der Unbestimmtheit transkulturelle und ästhetische Konnektivitäten plausibilisiert werden (etwa bei R. Ingarden oder J. Lotman). Hier lassen sich ferner Fragen nach der Latenz ästhetischer Konzeptualisierungen in wissenschaftlicher Theoriebildung anschließen, die aktuelle Phänomene wie etwa den New Materialism in den Fokus rücken, wird dort doch für eine ontologische Verschränkung von Sozialität, Kraft und Unbestimmtheit argumentiert, die vorgeblich naturwissenschaftlich begründet ist, tatsächlich aber, so die Annahme, in zentraler Weise ästhetischen Verfahren aufliegt.