Renner: Naturalismen. Ästhetiken der Kraft in der literarischen Moderne (1850-1920)
Dr. des. Adrian Renner: Naturalismen. Zur Ästhetik natürlicher und sozialer Kräfte der Moderne (1850-1920)
Das Forschungsprojekt untersucht ästhetische Konzepte und literarische Evokationen von Kräften in heterogenen Strömungen der literarische Moderne von Naturalismus, Symbolismus und Monismus bis zum Expressionismus. Die frühe literarische Moderne gründet sich in ihren Selbstbeschreibungen und Darstellungskonzeptionen auf Vorstellungen autonomer Kräfte, die als Naturprozesse imaginiert und in den Bereich der Kunst übertragen werden. Ausgangspunkt bildet die Beschreibung von Kraft als kausaler Naturprozess in Physiologie, Physik und Chemie ab 1840 sowie als Darstellungsziel naturalistischer Texte. Die Berufung auf Kräfte analysiert das Forschungsprojekt nicht als wissenspoetologischen Transfer von Kräftevorstellungen, sondern als ästhetische Strategien der Naturalisierung, mit denen eine Intensivierung und Neuschöpfung künstlerischer Kräftevorstellungen aus realen, der Wirklichkeit inhärenten Kräftedynamiken begründet wird. Die in Texten wie Fritz Mauthners Kraft (1894), Maria Janitscheks Frauenkraft (1900) oder August Stramms Kräfte (1916) evozierten Kräfte beruhen auf Darstellungsstrategien wie der Vergeschlechtlichung, Drastik, Erhabenheit oder auf Prozessen der Totalisierung und changieren zwischen der Imagination real wirkender Naturkräfte und einer Re-Autonomisierung der Kunst in der frühen literarischen Moderne. In der Analyse der diskursiven Funktion von Kräftesemantiken und Kraftkonzeptionen in der Formierung der Naturwissenschaften und ihrer kulturtheoretischen Implikationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie eines breit gefächerten literarischen Textkorpus‘rekonstruiert das Projekt eine verdeckte Leitkategorie in der Genese der literarischen Moderne an der Schnittstelle zwischen Natur(-imagination) und Kunst(-autonomie).