Buss: Dynamische Landschaften
Franca Buss, M.A.: Dynamische Landschaften. Mensch und Natur zwischen 1300 und 1850
Die ästhetische Entdeckung der Landschaft gilt spätestens seit Joachim Ritters einflussreichem Aufsatz von 1963 als Ergebnis einer Distanzierung des Menschen von der Natur. Ritter definiert die Landschaft als ein Gegenüber, das sich von einem bestimmten Standpunkt aus erschließt, wenn der praktische Zweck der Natur hinter sich gelassen wird. Ein solches Verständnis trennt nicht nur der nutzende Gebrauch (uti) vom genießenden Betrachten (frui), sondern erklärt zugleich die Kategorie der Kraft für die ästhetische Betrachtung für irrelevant.
Die vorliegende Arbeit setzt hier einen Gegenpunkt, indem sie europäische Landschaftsdarstellungen zwischen 1300 und 1850 unter dem Gesichtspunkt der Dynamik und Kraft untersucht. Im Gegensatz zu traditionellen Betrachtungsweisen, die Landschaftsmalerei primär als Repräsentation statischer räumlicher Arrangements oder als Projektionsfläche menschlicher Gefühlswelten verstehen, rückt diese Studie die Konzeption und Darstellung der Landschaft als energetisches System in den Mittelpunkt. Im Zentrum stehen Landschaftsbilder, die die natürlichen, kulturellen und ökonomischen Kräfteverhältnisse, durch die die Landschaft geformt wird, ästhetisch reflektieren und sichtbar machen.
Methodisch verbindet das Projekt kunstgeschichtliche close-readings mit einer kontextualisierenden Betrachtung wissenschafts- und ideengeschichtlicher Entwicklungen. Ein besonderes Augenmerk gilt zeitlichen Wendepunkten, in denen das Verhältnis von Dynamik und Landschaftsraum neu bestimmt und reflektiert wird. Dabei wird deutlich, dass die Landschaftsmalerei nicht nur auf veränderte Naturkonzeptionen reagierte, sondern selbst ein Medium darstellte, in dem neue Auffassungen von Naturkräften verhandelt und erprobt werden konnten.
Auf diese Weise leistet die Studie nicht nur einen Beitrag zum Verständnis der Landschaftsmalerei als wissensgeschichtlich relevantes Medium, sondern bietet auch eine historische Perspektivierung gegenwärtiger Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und natürlicher Umwelt, indem sie zeigt, wie sich das Verständnis der Landschaft als dynamisches Kräftefeld entwickelte und veränderte. Ziel ist es einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen der Objektivierung von Natur einerseits und ihrer nostalgisch-romantischen Überhöhung andererseits zu finden.