Adler: Kräfte des Selbst
Caroline Adler, M.A.: Kräfte des Selbst. Esoterische Kraftdiskurse zwischen Glauben und Wissenschaft
Das Forschungsprojekt untersucht die Entstehung, Transformation und Persistenz esoterischer Wissensformen im Spannungsfeld zwischen moderner Wissenschaft und symbolisch-erfahrungsbezogenen Weltdeutungen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich esoterische Strömungen insbesondere über die Semantik der „Kraft“ epistemisch legitimieren – und zwar gerade dort, wo sich die neuere (Natur-)Wissenschaft zunehmend dem makro- oder mikroskopischen „Jenseits der Sinne“ widmet und an die Grenzen ihrer Anschaulichkeit stößt. Ausgehend von einer historischen Analyse esoterischer Bewegungen um 1900 fragt das Projekt danach, wie diese Diskurse wissenschaftliche Konzepte (wie „Energie“, „Frequenz“, „Feld“ oder „Schwingung“) transformieren, um eine eigene, vermeintlich wissenschaftlich fundierte Gegenepistemologie zu etablieren.
Im Anschluss an kulturwissenschaftliche Forschungen zum Nexus von Wissenschaft und Esoterik wird Esoterik hier nicht als irrationales Residuum oder „Metaphysik der dummen Kerle“ (Adorno), sondern als epistemische Formation innerhalb moderner Wissenskulturen verstanden. Dabei wird insbesondere beleuchtet, wie esoterische Diskurse eine gegenwartsbezogene Attraktivität entfalten – etwa in der gegenwärtigen Selbsthilfe- und Körperoptimierungsliteratur oder im post-pandemischen Boom alternativer Heilkonzepte – und sich gerade dezidiert von religiösen oder spirituellen Deutungsangeboten abzugrenzen versuchen.
Die Reaktivierung esoterischer Kraftvorstellungen in aktuellen Kontexten wird im Projekt als Reaktion auf die epistemologische Unanschaulichkeit moderner Naturwissenschaften gelesen – eine Unanschaulichkeit, die selbst Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Revolutionen der Quantenphysik, Biochemie und Radiologie begann und seither das Verhältnis zwischen Wissen, Erfahrung und Weltwahrnehmung prägt.
Methodisch verbindet das Projekt historische Diskursanalysen mit close readings esoterischer Texte und einer ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontextualisierung. Ziel ist es, eine kulturhistorisch fundierte Perspektive auf die semantischen, ästhetischen und politischen Funktionen des Esoterischen als wissensbildende Praxis zu eröffnen – als ein Medium, in dem alternative, mitunter ambivalente Vorstellungen von „Kräften des Selbst“ zwischen Sinnstiftung, Wissenskritik und Marktlogik ausgehandelt werden.