Prof. Dr. Wolf-Dietrich Löhr
Vita
Wolf-Dietrich Löhr ist Kunsthistoriker mit Schwerpunkten auf den Übergängen zwischen Schrift- und Bildmedien, auf anekdotischen und biographischen Narrativen und den Bezügen zwischen Materialität, Technik und Körper. Seine Dissertation untersuchte den Zusammenhang von Dichterbildnissen und Poetik im Mittelalter (Lesezeichen. Francesco Petrarca und das Bild des Dichters bis zum Beginn der Frühen Neuzeit), weitere Publikationen widmeten sich dem Verhältnis von Kunsttheorie, Literatur und Theologie, der Zeichenkunst und der Hand als Werkzeug und Metapher. Er lehrte von 2004 bis 2010 als Assistent an der Freien Universität Berlin und von 2010 bis 2021 als Kooperations-Juniorprofessor an der FU und am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz (MPI). 2016 erhielt er den Jacob Burckhardt-Preis. 2021 bis 2024 war er Mitarbeiter im Projekt Handhabe und Anweisung in der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit unter Leitung von Prof. Dr. Christina Lechtermann (Ruhr Universität Bochum) im Rahmen der DFG-Forschergruppe Dimensionen der techne in den Künsten.
Seine derzeitigen Projekte betreffen: Kunstbetrachtung im Frühmittelalter, Körper, Hand und Werkzeug in der Künstler:innen-Biographik, Tafelmalerei im Kontext der Techniken, Kanonfragen.
Publikationen (Auswahl)
- Dürers deadline: Zeit am Werk, in: Dialoge. Magdalena Bushart zum 65. Geburtstag, Juni 2023. https://doi.org/10.58079/nlui.
- »eine große Kraft in unseren Herzen« – imitatio und superatio als Vektoren des Wettstreits, in: Idole und Rivalen. Künstler im Wettstreit, Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien, hg. von Gudrun Swoboda, Berlin 2022, S. 113–127.
- Das verlorene Profil der Renaissance. Paul Delaroche’s Hémicycle und die Schwierigkeit, sich ein Bild von einer Epoche zu machen, in: M. Chatzidakis/ H. Haug/ L. Roemer/ U. Rombach (Hg.): Con bella maniera, Festgabe für Peter Seiler, Heidelberg: arthistoricum.net 2021, S. 425–450. https://www.doi.org/10.11588/arthistoricum.855.c11082.
- »Quanta vis«: Fragmente einer Kunsttheorie in Petrarcas De Remediis?, in: Petrarca und die bildenden Künste. Dialoge – Spiegelungen – Transformationen, hg. von Sebastian Schütze und Maria Antonietta Terzoli, Berlin/Boston 2021, S. 59–92.
- »Vielleicht ...«. Sinnentzug und Faktur in Giambattista Piazzettas Kölner Pastorale (1740/45), in: Erosionen der Rhetorik? Ambiguitätsstrategien in den Künsten der Frühen Neuzeit (culturae, 4), hg. von Valeska von Rosen, Wiesbaden 2012, S. 321–356.
Forschungsvorhaben: Fokus und Distanz – Spannungsfelder der italienischen Tafelmalerei im 14. Jahrhundert
Im 14. Jahrhundert lassen sich in der italienischen Malerei eine Reihe neuer Formate verzeichnen, die mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Wirkweisen der Gemälde einhergehen. Quellen unterschiedlichster Art – Gedichte, Kommentare, Chroniken, Novellen – liefern differenzierte Beschreibungen wahrnehmungspsychologischer Phänomene: Abbilder brechen aus ihren Rahmen aus („effigies erumpentes“: Francesco Petrarca, c. 1360) halten Betrachtende in ungewisser Spannung über ihren Status („suspendunt“: Petrarca) oder können sich verstörend „im Hirn querlegen“ („traversare nel capo“: Franco Sacchetti, um 1400). Gerade das gebildete Publikum spürt und genießt den Reiz dieser keinesfalls gefahrlosen „Kraft“ der Malerei („vis“: Petrarca, de remediis).
Das Projekt nimmt diese Konzepte als Ausgangspunkt, um insbesondere kleinformatige Tafeln auf solche Wirkpotentiale und Strategien hin zu untersuchen. Sie respondieren auf memorierte Bilder und ikonographische Traditionen, die sie in einem Kräftefeld von Erinnerung, Erwartung, Suggestion und Imagination neu adressieren. Fokus und Distanz erweisen sich dabei als konvergierende Dynamiken: Die Werke ziehen durch gestaffelte Rahmensysteme und differenzierte Materialien Grenzen zum Publikum, die sie zugleich immer wieder durchstoßen, indem sie durch plastische Effekte, kinetische Impulse und perspektivische Zurichtungen Nähe und Zugänglichkeit anbieten. Auf kleinsten Bildflächen werden Emotionen und Bewegungsenergie durch Lücken, Ellipsen und Leerräume gespeichert, Handlungen durch Verdichtung und Rhythmen gesteigert, Bildgründe geschichtet und verdreht, Bedeutungen durch Binnenrahmungen, Kontraste und Maßstabssprünge akzentuiert.
Das Projekt möchte zudem die Bezüge der Tafeln zu Techniken wie Schnitz- und Goldschmiedekunst sowie Web- und Stickkunst, mit denen sie in ihren ursprünglichen Funktionskontexten verbunden waren, herausarbeiten, um den westlichen Kanon der drei Schönen (und oft zu isolierten) Künste Malerei, Skulptur, Architektur zu hinterfragen.