Prof. Dr. Eckart Goebel
Vita
Eckart Goebel studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Germanistik und Philosophie an der FU Berlin (Magister 1991) sowie Germanistik und Philosophie am St. Hugh’s College, Oxford (MA oxon. 1992). 1995 wurde er im Institut für AVL der FU mit Konstellation und Existenz. Kritik der Geschichte um 1930: Studien zu Heidegger, Benjamin, Jahnn und Musil promoviert (Tübingen: Stauffenburg 1996). 2001 habilitierte er sich im Fach AVL mit der Studie Der engagierte Solitär. Die Gewinnung des Begriffs Einsamkeit aus der Phänomenologie der Liebe im Frühwerk Jean-Paul Sartres (Berlin: Akademie, 2001). Von 1995 bis 2005 war Goebel Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Eberhard Lämmert am Berliner Zentrum für Literaturforschung. 2005 erfolgte die Berufung auf eine Professur am Department of German der NYU. 2013/14 war Goebel Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seit 2015 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Komparatistik und Neuere dt. Literatur an der Universität Tübingen und seit 2018 einer der Herausgeber der englischen Zeitschrift German Life & Letters. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören neben europäischer und nordamerikanischer Literaturgeschichte die Goethezeit, Thomas Mann, Ideengeschichte, Anthropologie sowie Literatur und Psychoanalyse.
Publikationen (Auswahl)
- Monographien:
- Jenseits des Unbehagens. ›Sublimierung‹ von Goethe bis Lacan, Bielefeld 2009: transcript.
- Esmeralda. Deutsch-französische Verhältnisse in Thomas Manns ›Doktor Faustus‹, Göttingen 2015: Wallstein.
- Ehrgeiz. Dynamiken zweckrationaler Passion, Paderborn 2020: Wilhelm Fink.
- Herausgeberschaft:
- mit Frauke Berndt: Handbuch Literatur & Psychoanalyse. Berlin/Boston 2017: Walter de Gruyter.
- mit Cornelia Zumbusch: Balance. Figuren des Äquilibriums in den Kulturwissenschaften. Berlin/Boston 2020: Walter de Gruyter.
Forschungsvorhaben: Hydraulik und Homöostase als Paradigmen der Kulturtheorie
Im Kontext der Arbeit an einer Theorie der Balance habe ich mich intensiv mit Sigmund Freuds Schriften beschäftigt. Zu den offenen Fragen gehört die nach der Herkunft des „hydraulischen Triebmodells“: Freuds Rede von den „Quellen“ des Triebs, vom Fließen, von Stauungen, Hemmungen, Druck, Abfuhr, ‚seelischem Gleichgewicht‘ etc. lässt tatsächlich an Wasserwirtschaft denken. Die zweite Generation der Psychoanalyse, etwa Jacques Lacan oder Norman O. Brown, hat folgerecht den 1932 vom Biologen Walter Cannon etablierten Begriff der „Homöostase“ (das Fließgleichgewicht) für psychoanalytische Theoriebildung genutzt, wobei die perfekte Homöostase immer wieder vom Druck des Begehrens destabilisiert werden muss, um nicht dem Todestrieb zu erliegen.
Mein Forschungsprojekt soll diese Imaginarien der Triebkräfte rekonstruieren und anders beleuchten: 1962 erschien die dt. Erstausgabe von Karl A. Wittfogels kontroverser Monumentalstudie über Die Orientalische Despotie (US 1957). Wittfogel argumentiert, dass frühe Hochkulturen des ‚Orients‘, Asiens und Südamerikas „hydraulische Kulturen“ gewesen seien, denen es gelang, aride Gegenden landwirtschaftlich zu nutzen. Bewässerungsanlagen großen Stils (Reisanbau in Asien, Nutzung von Euphrat und Tigris, des Nils, Aquädukte etc.) erfordern die Kooperation vieler Menschen, Logistik (Berufsbeamtentum), astronomische, physikalische, ingenieurwissenschaftliche Kenntnisse und gehen historisch mit einer „despotischen“ Zentralgewalt einher.
Freud wiederum hat seine individualpsychologischen Forschungen wiederholt mit spektakulären, ebenfalls kontroversen kulturtheoretischen Entwürfen verbunden, etwa in Totem und Tabu oder Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Die Frage, der ich nachgehen möchte, ist, welchen Einfluss das weit vor Wittfogel bekannte System hydraulischer Gesellschaften womöglich auf die Theoriebildung der Psychoanalyse besaß, in deren Zentrum das hydraulische Triebmodell steht, die Wasserwirtschaft der Seele.