Prof. em. Dr. Christine Göttler
Foto: Thomas Baumann
Vita
Christine Göttler (Promotion Universität Zürich 1996, Habilitation FU Berlin 2006) ist emeritierte Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Bern. Vor ihrer Berufung nach Bern war sie von 1998 bis 2009 Professorin an der University of Washington, Seattle. Sie war u.a. Fellow am Netherlands Institute for Advanced Study, IFK Wien, Center for Advanced Study in the Visual Arts, Washington, Getty Research Institute, an der Newberry Library, Chicago, der Villa I Tatti, und Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel. Im Frühjahrssemester 2024 wird sie als Robert Janson-La Palme *76 Visiting Professor am Department of Art & Archaeology an der University of Princeton lehren. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit den Wechselbeziehungen von künstlerischem, naturphilosophischem und religiösem Wissen, dem Verhältnis von Natur und Landschaft, der frühneuzeitlichen Sammlungskultur im globalen Kontext sowie frühneuzeitlichen Vorstellungen von materiellen und immateriellen Welten. Sie hat u.a. zu Peter Paul Rubens, Jan Brueghel dem Älteren, Hendrick Goltzius und Karel van Mander publiziert.
Publikationen (Auswahl)
- Last Things: Art and the Religious Imagination in the Age of Reform, Proteus: Studies in: Identity Formation in Early Modern Image-Text-Ritual-Habitat, Bd. 2, Turnhout: Brepols, 2010.
- “Die Katastrophe in der Galerie: Sodom und Gomorra in der niederländischen Malerei,” in: Naturkatastrophen: Deutungsmuster vom Altertum bis in die Neuzeit, hg. von Andreas Höfele und Beate Kellner, Paderborn: Brill / Fink, 2023, S. 235–265.
- “Yellow, Vermilion, and Gold: Colour in Karel van Mander’s Schilder-Boeck,” in: Material Identities in Early Modern Culture, 1450–1750: Objects – Affects – Effects, hg. von Susanna Burghartz, Lucas Burkart, Christine Göttler und Ulinka Rublack, Amsterdam: Amsterdam University Press, 2021, S. 233–280, https://library.oapen.org/handle/20.500.12657/50499.
- “Tales of Transformation: Hendrick Goltzius’s Allegory of the (Alchemical) Art in the Kunstmuseum Basel,” in: Epistemic Images in Early Modern Europe, hg. von Christopher Heuer und Alexander Marr, 21: Inquiries into Art, History, and the Visual 1 (2020), S. 403–444, https://doi.org/10.11588/xxi.2020.2.76233.
- “The Marine Venus and Rubens’s Saltcellar: Artists’ Conversations in Antwerp, c. 1628,” in: I Tatti Studies, 26, 2 (2023), special issue: Visual Poetry: The Politics and Erotics of Seeing, hg. von Shawon Kinew und Felipe Pereda (im Erscheinen).
Forschungsvorhaben: Endzeitszenarien bei Rubens
Elemente verstand man bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als lebenserzeugende Kräfte, die in stets wechselnder Zusammensetzung die sinnlich wahrnehmbare Welt hervorbringen; Empedokles verglich sie mit den Pigmenten, aus denen Künstler:innen durch immer wieder neue Mischungen ihre scheinbar lebendigen Figuren schufen. In meinem Projekt beschäftige ich mich mit Rubens' malerischer Erkundung endzeitlicher elementarer Metamorphosen. Dabei werde ich u.a. zwei in unterschiedlichen Kontexten entstandene Werke miteinander in Dialog setzen, die in jeweils anderer Weise religiöse, mythologische und naturphilosophische Katastrophenvorstellungen experimentell-künstlerisch weiterentwickeln: den um 1620 datierten Höllensturz der Verdammten (München) und die vermutlich im selben Jahr begonnene, jedoch bis in die 1630er Jahre mehrfach umgestaltete Große Gewitterlandschaft (Wien). Beide Gemälde wurden vom Künstler vollständig eigenhändig ausgeführt. Wie setzte Rubens die Feuer- und Wassermassen malerisch um, und wie imaginierte er eine beschleunigte apokalyptische Zeit, die auch bestehende elementare Ordnungen vernichtet? Am Beispiel von Rubens' Weltenbrand und Flutkatastrophe untersuche ich Möglichkeiten der Verkörperung und Inszenierung furchterregender zerstörerischer elementarer Kräfte in der frühneuzeitlichen Malerei.
Forschungsergebnisse: Endzeitszenarien bei Rubens
Während meines dreimonatigen Aufenthalts in Hamburg habe ich mich hauptsächlich mit Peter Paul Rubens' Höllensturz der Verdammten beschäftigt, seinem verstörendsten, aber auch ambitioniertesten eschatologischen Gemälde, das sich heute in der Alten Pinakothek in München befindet. Ich ging dabei von zwei bisher kaum beachteten Besonderheiten aus, der auffälligen Abwesenheit Christi und der ungewöhnlich nahsichtigen Darstellung des apokalyptischen Feuers, das ich als den eigentlichen Protagonisten des Gemäldes verstehe. Während sich der siebenköpfige Drache und die in eine bodenlose Tiefe stürzende Menschenmenge auf die letzten Verse der Johannesapokalypse verweisen, erinnert der feurige Kataklysmus an den Weltenbrand am Ende der Zeiten, wie er im zweiten Petrusbrief beschworen wird (vgl. 2 Petrus 3:10, "in qua caeli magno impetu transient"; an dem die Himmel mit großer Gewalt vergehen). Mein Interesse galt einerseits der Aktualität, die Petrus' Vision im neuen Postulat eines feurigen, flüssigen und durchlässigen Himmels erhielt, das der aristotelischen Unterscheidung zwischen einer sublunaren vergänglichen und einer supralunaren ewigen Welt widersprach, und, andererseits, Rubens' Beschäftigung mit formauflösenden und formgebenden Prozessen. Zugleich sollte die Aufmerksamkeit auf die damals zentralen Fragen nach der materiellen Substanz, elementaren Zusammensetzung und generativen Kraft des nun nicht mehr unveränderlich gedachten Himmels gelenkt werden, die im Gegensatz zu den unterschiedlichen Weltmodellen bisher kaum beachtet wurden. Meine Forschungen sind Teil eines größeren Kapitels über Rubens' malerische Auseinandersetzung mit meteorologischen und kosmologischen Extremen in meinem in Vorbereitung befindlichen Buch, Fluid Worlds: Art and Knowledge in Seventeenth-Century Antwerp. Die zahlreichen Gespräche mit den Mitarbeitenden und Fellows der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Imaginarien der Kraft“ sowie den Kolleg:innen am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg haben entscheidend dazu beigetragen, meine Forschungen neu auszurichten.