Prof. Dr. Antonia Eder
Vita
Antonia Eder ist Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur am Germanistischen Institut der Universität Münster. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie, Psychologie und Politologie an der Sorbonne, Paris IV und der FU Berlin, promovierte sie in Tübingen zu Hofmannsthal (Der Pakt mit dem Mythos, 2013), lehrte anschließend als Oberassistentin am Département d'allemand der Universität Genf und dann am Institut für Germanistik, KIT/Universität Karlsruhe. Sie habilitierte sich 2021 mit einer Arbeit zum Indiz in Recht, Semiotik und Literatur. Sie war Gast- und Vertretungsprofessorin an den Universitäten Bonn, der FU und HU Berlin sowie Visiting Scholar an der University of Chicago und der Universität Konstanz, Fellow der Stiftung Weimarer Klassik und des Auerbach Institute for Advanced Studies der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Wissen vom 17. bis 20. Jh. (Recht, Forensik, Semiotik, Psychologie, Anthropologie), Mythostheorie und Antikerezeption, Drama und Dramentheorie, Ästhetik und Poetik der Müdigkeit, Geschlechterforschung (Raumsemantik und Geschlecht).
Publikationen (Auswahl)
- Unzeiten und Gegenwarten. Zum Werk von Angelika Meier. Hg. zus. mit Corinna Schlicht. Erscheint: Baden-Baden 2026.
- Indizien. Entstehung einer Erzählordnung in Recht, Semiotik, Literatur (1740-1820). Berlin 2025.
- Sprachabbruch als Bewegungszunahme. Mediendramatische Text- und Körperdynamiken um 1900. In: Torsten Hoffmann u.a. (Hg.): Bewegung um 1900: Literarisch, Ästhetisch, Anthropologisch. Göttingen 2025, S. 33–47.
- Glaube, Liebe, Räume. Geschlechtertopologie und Raumsemantik in Schillers Die Jungfrau von Orleans. In: Helmuth Hühn, Nikolas Immer, Ariane Ludwig (Hg.): Die Jungfrau von Orleans (1801). Lektüren. Schiller-Studien 3/2023, S. 93–127.
- Müdigkeit. Allzumenschliches in Anthropologie, Philosophie und Literatur des 17. und 18. Jahrhundert. In: Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte Heft 14, 10/2022, S. 148–170.
Forschungsvorhaben: Müdigkeit. Zur Kulturgeschichte einer Beharrungskraft
Müdigkeit ist beharrlich. Die Widerständigkeit ihrer Anökonomie ist in philosophischen, ökonomischen, mechanischen, physiologischen sowie psychiatrischen Kontexten ein historisch wie gegenwärtig virulentes Thema. Müdigkeit gilt als Widerstand, aber auch als potentielle Energie, als eine Art aktive Passivität (Seel 2014). Mit Müdigkeit lässt sich daher eine kritische Gegenbeobachtung verbinden: Als Widerstandskraft der Beharrung und Trägheit konfrontiert sie Biopolitik und Leistungsgesellschaft mit kapitalismuskritischen Denkfiguren einer negativen Potentialität (Agamben 1998). Müdigkeit lässt sich vor diesem Horizont als ein Phänomen des insistenten ‚Sein-Lassens‘ beschreiben, das im Diskursfeld benachbarter Phänomene wie Erschöpfung, Fatigue, Melancholie, aber auch Faulheit, Langeweile, Nichtnutz u.a. siedelt (Schäfer 2016; Carduff/Felten 2013; Felten/Pankow 2015), in dem Müdigkeit bislang nicht explizit als Widerstandskraft extrapoliert worden ist. Müdigkeit, so meine weiterführende These, setzt zudem – als Doppelphänomen von fatigatio und lassitudo – ein spezifisch poetisches Potential frei. Mit ihren Eigenschaften des Potentiellen und Ephemeren tritt auch im ästhetischen Feld die Müdigkeit als anökonomische Figur auf, deren poetische und philosophische Dimensionen mich interessieren. Diese zeichnet sich bereits im 17. Jahrhundert (Moralphilosophie: Acedia) und 18. Jahrhundert (französischer Materialismus) ab, wird im langen 19. Jahrhundert aufgrund von massiv veränderten Arbeits- und Produktionsbedingungen der Industrialisierung virulent (Rabinbach 1992), prägt die Psychiatriediskurse des 20. Jahrhundert und zeigt sich gerade heute wieder auf sozial-ethischen Ebenen („Wir sind mütend!“). Das Projekt fokussiert ausgehend von der Literatur die politischen, ethischen, medizinischen Implikationen und die spezifischen Korrelationen von Müdigkeit, Ästhetik und Anthropologie.