Dr. Hannah Baader
Foto: Cosimo von Kruse
Vita
Hannah Baader ist Kunsthistorikerin und arbeitet als Wissenschaftlerin am Kunsthistorischen Institut in Florenz, Max-Planck-Institut, wo sie die Forschungsgruppe Transregionale Kunstgeschichte/Transregional Art Histories leitet.
Sie studierte Kunstgeschichte, Rechtswissenschaft und Philosophie in Berlin und Wien und erhielt ihren Doktor von der Freien Universität Berlin (2002). Vor ihrer Verpflichtung am Kunsthistorischen Institut in Florenz (seit 2004) unterrichtete sie an der Freien Universität Berlin und forschte an der Bibliotheca Hertziana in Rom, Max-Planck-Institut (2002–2003). Gastaufenthalte führten sie an das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin (2007), an das Getty Research Institut in Los Angeles (2014 und 2016). Sie erhielt Einladungen als Gastprofessorin an das Exzellent Cluster Asia and Europe in a Global Context der Universität Heidelberg (2017) sowie an die Universität Zürich (2017).
Zusammen mit Avinoam Shalem und Gerhard Wolf wurde sie für Art, Space and Mobility in Early Ages of Globalization von der Getty Foundation durch eine großzügige Förderung ausgezeichnet (2010-2015); für das von ihr und Gerhard Wolf entwickelte Forschungsprogramm Art Histories and Aesthetic Practices am Forum Transregionale Studien wurde sie vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (2013-2019).
Gegenwärtig leitet sie das 4A_Lab in Berlin, ein Forschungs- und Fellowshiprogramm der Max-Planck-Gesellschaft in Kooperation mit der Stiftung Preussischer Kulturbesitz.
Publikationen (Auswahl)
Bevorstehende Publikationen beinhalten eine Monografie zur Ikonologie des Meeres in der frühen Neuzeit und Art and Ecology, herausgegeben mit Sugata Ray und Gerhard Wolf (New York: De Gruyter, 2021).
Forschungsvorhaben: Teilungskräfte. Tizian, Durchzug durch das Meer
Das Meer ist in der europäischen Imagination ein ambivalenter Raum der Weite und Ferne, des Aufbruchs, des Horizonts und seiner Verschiebungen, der Tiefe, Abgründe, der Reflektion, aber auch der dynamischen Kräfte. Nicht nur Stürme, sondern auch Strudel geben sich in literarischen wie bildnerischen Verarbeitungen zu erkennen - und sind als solche Gegenstände der Forschung, die aus Perspektive der Geisteswissenschaften zu einem Verständnis der Maritimen Geschichte oder Blue History beitragen. Das Projekt fragt nach den Formen der Repräsentation maritimer Kräfte und Dynamiken in der Frühen Neuzeitlichen Kunst der italienischen Halbinsel. Zum Abschluss eines Buchprojektes sollen dabei zwei Fallstudien im Zentrum stehen: Eine mittelalterliche kaiserliche Insignie mit maritimen Konnotationen aus Sizilien sowie ein großformatiger Holzschnitt Tizians aus dem Venedig des 16. Jahrhunderts, in denen Imaginations- und Handlungsräumen ausgelotet werden, ihr Verhältnis aber auch in Spannung gebracht wird.
Forschungsergebnisse: Teilungskräfte. Tizian, Durchzug durch das Meer
1549 publizierte ein sonst unbekannter Drucker einen großformatigen Holzschnitt des venezianischen Künstlers Tizian. Bei dem Druckwerk muss es sich um die Wiederauflage einer früheren ersten Version handeln, die der Maler etwa 30 Jahre früher entworfen hatte. Der ebenso einzigartige wie eigenwillige Holzschnitt erreicht eine Größe von 290 x 100 cm, er hat damit das Format und die Maße eines zeitgenössischen Galeriebildes.
Verteilt über 12 zusammengeklebte Papierstücke, zeigt Tizian das alttestamentarische Thema des Durchzugs durch das Rote Meer als Ereignis in Schwarz- Weiß. Das gerettete Volk Israel platzierte der Maler im rechten Bildfeld, auf einer Landzunge, in deren Hintergrund sich ein Berg erhebt. Moses und seine Begleiter – darunter Aaron und vielleicht auch Josua – blicken vom erreichten Ufer zurück auf ihre Verfolger, den Pharao mit seinem Heer, dessen Soldaten und Pferden in einem aufgewühlten Meer aus schwarzer Tinte untergehen.
Wie schon festgestellt wurde, ist das Meer der eigentliche Protagonist des Holzschnittes, ohne dass diese Beobachtung zu weiterreichenden Analysen geführt hätte. Während meines Aufenthaltes am Forschungskolleg habe ich mich dieser Frage gewidmet. Dabei habe ich mich vor allem damit beschäftigt, auf welche Weise der Druck als eine pointierte Auseinandersetzung mit Konzeptionen von Kraft und Kräften verstanden werden kann. Der Holzschnitt entfaltet eine dynamische, rhythmisierte Erkundung dieser Kräfte, die mit hohem künstlerischem Verstand und handwerklichem Vermögen auf der Oberfläche des Papiers präsentiert wird.
Die Studie zu Tizians Holzschnitt ist Teil einer größeren Untersuchung zur Darstellung des Meeres in der vormodernen Kunst Italiens. Für diese Studie konnte ich mich während des Aufenthalts am Kolleg auch mit Modellen von Geschichtsschreibung und mit solchen historischen Texten auseinandersetzen, bei denen der Begriff der Kraft als Erklärung für historischen Wandel und historische Dynamik eingesetzt wird.