Prof. Dr. Michael Esfeld
Vita
Michael Esfeld ist seit 2002 Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne. Promotion Münster 1994 über „Mechanismus und Subjektivität in der Philosophie von Thomas Hobbes“, Habilitation Konstanz 2000 über „Holismus in der Philosophie des Geistes und der Philosophie der Physik“, 2000 Lecturer in Philosophy an der University of Hertfordshire, 2001 C3-Professor für Philosophie an der Universität zu Köln, seit 2010 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, 2013 Forschungspreis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Hauptarbeitsgebiete sind die Naturphilosophie einschließlich der Metaphysik der Naturwissenschaften und die Philosophie des Geistes einschließlich der Sprachphilosophie.
Publikationen (Auswahl)
- Wissenschaft und Freiheit. Das naturwissenschaftliche Weltbild und der Status von Personen, Berlin: Suhrkamp 2019. (Englisch: Science and human freedom, London: Palgrave-Macmillan 2020.)
- A minimalist ontology of the natural world, New York: Routledge 2017 (mit Dirk-André Deckert).
- Physique et métaphysique: une introduction à la philosophie de la nature, Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes 2012. (Italienisch: Filosofia della natura. Fisica e ontologia, Torino: Rosenberg & Sellier 2018.)
- Kausale Strukturen. Einheit und Vielfalt in der Natur und den Naturwissenschaften, Berlin: Suhrkamp 2010 (mit Christian Sachse). (Englisch: with Christian Sachse: Conservative reductionism, New York: Routledge 2011.)
- Naturphilosophie als Metaphysik der Natur, Frankfurt (Main): Suhrkamp 2008.
- Philosophie des sciences. Une introduction, Lausanne: Presses polytechniques et universitaires romandes 2006.
- La philosophie de l’esprit. De la relation entre l’esprit et la nature, Paris: Armand Colin 2005.
- Einführung in die Naturphilosophie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002.
- Holismus in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Physik, Frankfurt (Main): Suhrkamp 2002. (Englisch: Holism in philosophy of mind and philosophy of physics, Dordrecht: Kluwer 2001.)
- Mechanismus und Subjektivität in der Philosophie von Thomas Hobbes, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1995.
Forschungsvorhaben: Physik und Metaphysik der Kraft: Das Verhältnis von physikalischem und metaphysischem Kraft-Begriff bei Aristoteles und Newton
Der Kraft-Begriff ist zentral für Newtons Physik, wird doch gemäß den drei Bewegungsgesetzen jede Bewegungsänderung eines Körpers auf die Einwirkung einer Kraft zurückgeführt. In jedem konkreten Bewegungsgesetz verschwindet in der Berechnung dann jedoch der Kraftterm zu Gunsten eines Parameters, der den Körpern je einzeln zugeschrieben wird, wie zum Beispiel die schwere Masse im Gravitationsgesetz. Ferner lassen Newtons Gesetze keinen Spielraum für Kräfte, die wirken, indem sie sich im Raum ausbreiten.
Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsvorhaben den Stellenwert des Kraftbegriffs in der klassischen Physik (und darüber hinaus bis zur Quantenphysik). Der zweite Teil des Projekts besteht dann darin, den physikalischen Kraftbegriff (force) mit dem metaphysischen Kraftbegriff (power) in Beziehung zu setzen, wobei letzterer auf Aristoteles (dynamis) zurückgeführt werden kann. Die Frage ist auch hier wiederum, welchen Stellenwert dieser metaphysische Kraftbegriff für die Naturphilosophie hat, insbesondere in Bezug auf die zeitgenössische Diskussion zu Dispositionen und dynamischen Strukturen.
Forschungsergebnisse: Physik und Metaphysik der Kraft: Das Verhältnis von physikalischem und metaphysischem Kraft-Begriff bei Aristoteles und Newton
Der Kraftbegriff der Newton’schen Physik ist so beschaffen, dass sich die Kräfte auf diejenigen Parameter reduzieren, die in den jeweiligen Kraftgesetzen die Bewegungsänderung der Körper festlegen, wie die Masse oder die Ladung. Kräfte gibt es also als solche nicht, sondern nur sozusagen kraftvolle Parameter. Diese Parameter drücken eine dynamische Beziehung zwischen den Körpern aus durch die Rolle, die sie in den Bewegungsgesetzen spielen. Kräfte und die Parameter, auf die sie zurückgehen, sind damit in der Bewegung der Körper lokalisiert. Sie nichts anderes als bestimmte Bewegungsmuster, welche die Physik auf den Punkt bringt.
Der metaphysische Kraftbegriff zielt hingegen auf eine tiefergehende Erklärung dieser Bewegungsmuster ab. Dafür ist Leibniz die zu Newton passende zeitgenössische Referenz. Leibniz greift auf Aristoteles zurück, dessen Dynamis-Begriff man als Vorläufer des modernen Kraftbegriffs deuten kann. Aristoteles und Leibniz sind die Quellen für die Theorie in der heutigen Philosophie, die Eigenschaften als Kräfte ansieht: Die Körper haben intrinsische, kausale Eigenschaften, aufgrund derer die Veränderungen in der Natur als deren Manifestationen geschehen. Das Problem ist jedoch, dass die auf dieser Grundlage formulierten Erklärungen zirkulär sind.
Letztlich erweist sich der Kraftbegriff als eine Metapher: Im Bereich der Naturwissenschaften (physikalische, biologische Kräfte usw.) steht er für hervorstechende Muster (Regularitäten) im Verhalten der betreffenden Systeme. Im Bereich menschlichen Handelns („Willenskraft“) steht er für die Freiheit, uns selbst Regeln für unser Denken und Handeln zu setzen.