Prof. Dr. Staffan Müller-Wille
Vita
Staffan Müller-Wille ist University Lecturer in History of Life, Human and Earth Sciences am Department for History and Philosophy of Science der Universität Cambridge, sowie Honorarprofessur am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck. Er promovierte 1997 im Fach Philosophie an der Universität Bielefeld und war danach am Deutschen Hygiene Museum in Dresden und am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin tätig. In 2004 wechselte er an die Universität Exeter wechselte, wo er zuletzt als Associate Professor in the History and Philosophy of the Life Sciences und Deputy Director von Egenis – Centre for the Study of the Life Sciences tätig war. Von 2013 bis 2018 gab er die Zeitschrift History and Philosophy of the Life Sciences heraus. Gastaufenthalte führten ihn u.a. nach Tel Aviv, Mexico City, Paris, Minneapolis, Berlin, Bielefeld und Uppsala. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der Naturgeschichte, mit Schwerpunkt auf dem Werk Carl von Linnés (1707-1778), und die Kulturgeschichte der Vererbung seit der frühen Neuzeit. Dabei interessiert ihn vor allem die Geschichte informationsverarbeitender Verfahren in den Natur- und Humanwissenschaften, sowie die Frage, wie diese Verfahren unser Weltbild verändern. Mehr Informationen zu Forschungsprofil und Veröffentlichungen finden sich hier: https://www.people.hps.cam.ac.uk/index/teaching-officers/muellerwille
Publikationen (Auswahl)
- ‚Jederzeit zu Diensten’: Karl Ludwig Willdenows und Carl Sigismund Kunths Beiträge zur Pflanzengeographie Alexander von Humboldts. In: edition humboldt digital, hg. von Ottmar Ette. Berlin: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, https://edition-humboldt.de/v4/H0017685.
- Names and Numbers: ‘Data’ in Classical Natural History, 1758–1859. In: Data Histories, hg. von Elena Aranova, Christine von Oertzen and David Sepkoski (=Osiris, Bd. 32). Chicago: University of Chicago Press, 2017, S. 109–128.
- Linnaeus and the Love Lives of Plants. In: Reproduction: From Antiquity to the Present Day. Hg. von Nick Hopwood, Rebecca Flemming und Lauren Kassell. Cambridge: Cambridge University Press, 2018, S. 305-318.
- Handbuch Wissenschaftsgeschichte. Hg. mit Marianne Sommer und Carsten Reinhardt. Stuttgart: J. B. Metzler, 2017.
- Linnaeus and the Four Corners of the World. In: The Cultural Politics of Blood, 1500-1900, hg. von Kim Coles u.a. Basingstoke: Palgrave MacMillan, 2015, S. 191–209.
- A Cultural History of Heredity. Chicago: University of Chicago Press. Zus. mit Hans-Jörg Rheinberger. Chicago: University of Chicago Press, 2012.
Forschungsvorhaben: Affinitäten. Zur Geschichte eines transdisziplinären Konzepts um 1800
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert erlebt der Begriff affinitas (dt. Verwandtschaft) zahlreiche Konjunkturen in den Naturwissenschaften. Ausgehend von Étienne François Geoffroy’s Table des rapports (1718) spielte er vor allem in der chemischen Revolution eine Rolle; unter Affinität verstand man die Fähigkeit von chemischen Substanzen, andere Substanzen aus einer Verbindung zu verdrängen. In diesem Sinne trat der Begriff, vermittelt über Torbern Bergman’s Schrift Von der Attraction (dt. 1782, lat. orig. 1775), mit Johann Wolfgang von Goethe’s Die Wahlverwandtschaften (1809) auch in die Weltliteratur ein. Daneben verwendeten aber auch Naturforscher – allen voran Carl von Linné aber auch ein gutes Jahrhundert später Charles Darwin – diesen Begriff, um Ähnlichkeitsbeziehungen im sogenannten „natürlichen“ System der Organismen zu bezeichnen. Schließlich spielte der Begriff auch im Schrifttum zu Elektrizität und Magnetismus eine Rolle, sowie in Spekulationen über die Zeugung und Entwicklung von Lebewesen eine wichtige Rolle. Angesiedelt an der Schwelle von anorganischer zu organischer Natur, bezeichnet Affinität sowohl Form- als auch Kräfteverhältnisse. In meinem Projekt geht es mir darum, den Bedeutungsraum von Affinität und die Grundzüge seiner historischen Entwicklung zunächst einmal nur zu kartieren. Besonderes Augenmerk möchte ich dabei den genealogischen und politischen Konnotationen des Begriffs widmen, sowie seiner graphischen Umsetzung in einer Vielfalt von Diagrammen.
Forschungsergebnisse: Affinitäten. Zur Geschichte eines transdisziplinären Konzepts um 1800
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert erlebt der Begriff affinitas (dt. Verwandtschaft) zahlreiche Konjunkturen in den Wissenschaften von der Natur. Vor allem in der chemischen Revolution spielte er eine Rolle; unter Affinität verstand man die Fähigkeit von chemischen Substanzen, andere Substanzen aus einer Verbindung zu verdrängen. In diesem Sinne trat der Begriff mit Johann Wolfgang von Goethe’s Die Wahlverwandtschaften (1809) auch in die Weltliteratur ein. Daneben fand der Begriff aber auch in der Naturgeschichte Verwendung, wo er Ähnlichkeitsbeziehungen im „natürlichen“ System der Organismen bezeichnete. Schließlich spielte er auch im Schrifttum zu Elektrizität und Magnetismus eine Rolle, sowie in Spekulationen über Zeugung, Entwicklung und Reproduktion von Lebewesen. In meinem Projekt ging es darum, den Bedeutungsraum von Affinität und die Grundzüge seiner historischen Entwicklung zu kartieren, und das Verständnis dieses Begriffs durch eine Fallstudie zu dem Hamburger Naturforscher Paul Dietrich Giseke (1741–1796) zu vertiefen. Besonderes Augenmerk galt dabei den genealogischen und politischen Konnotationen des Begriffs, sowie seiner graphischen Umsetzung in einer Vielfalt von Diagrammen. Im Ergebnis ließ sich die Hypothese formulieren, dass Affinitäten, angesiedelt an der Schwelle von anorganischer zu organischer Natur, nicht nur Formverhältnisse bezeichneten, sondern auf ein Spiel verborgener, antagonistischer Kräfte, Triebe oder Tendenzen verwiesen, aus dem sich Formverhältnisse erst ergaben.