Prof. Dr. Ivana Rentsch
Vita
Ivana Rentsch, Studium der Musikwissenschaft, Medienwissenschaft und Linguistik an der Universität Zürich. Danach Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern, dort 2004 Promotion mit einer Doktorarbeit über Bohuslav Martinůs Opern der Zwischenkriegszeit (Anklänge an die Avantgarde, Stuttgart 2007). 2005 Forschungsstipendium für das Projekt „Der Tanz in der Partitur“ des Schweizerischen Nationalfonds an den Universitäten Graz und Salzburg. 2006–2013 (Ober)Assistentin am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, dort 2010 Habilitation mit einer Schrift über die Bedeutung des Tanzes für die Instrumentalmusik und Musiktheorie der Frühen Neuzeit (Die Höflichkeit musikalischer Form, Kassel etc. 2012). Lehraufträge an den Universitäten Basel, Bern, Fribourg und Graz. Seit 2013 Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg.
DFG-Projekt „Thomas Selle – Opera omnia“ an der Universität Hamburg (seit 2015). Teilprojekt RF D12 „Handwritten layers of operatic practices – The reception of Richard Wagner at the Neues Deutsches Theater (1888–1938)“ im Exzellenz-Cluster „Understanding written Artefacts“ an der Universität Hamburg (seit 2020). Vorstandsmitglied der Internationalen Schubert-Gesellschaft; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der „Bohuslav Martinů Complete Edition“ (Bohuslav Martinů Stiftung Prag, Bärenreiter-Verlag).
Zu den Forschungsschwerpunkten zählen die Musik und Musiktheorie der Frühen Neuzeit, das Musiktheater des 17. bis 20. Jahrhunderts, die Gattungsgeschichte des Liedes und die tschechische Musikgeschichte.
Publikationen (Auswahl)
- „Klang-Rede“ aus dem Geiste des Tanzes. Das Menuett als satztechnisches Ideal bei Johann Mattheson, in: Musiktheorie (2019), H. 4, S. 164–179.
- Musik und Rhetorik, in: Die Musik in der Kultur des Barock, hrsg. von Bernhard Jahn, Laaber 2019 (= Handbuch der Musik des Barock), S. 339–354.
- „Locus amoenus“. Klingende Naturbilder in der Tragédie lyrique, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft. Neue Folge 34/35 [2017], S. 11–40.
- „Abgegriffene Musiklappen“. Das Melodrama von Pygmalion bis Cardillac in Hamburg, in: Bühne und Bürgertum. Das Hamburger Stadttheater (1770–1850), hrsg. von Bernhard Jahn und Claudia Zenck, Frankfurt: Peter Lang, 2016 (Hamburger Beiträge zur Germanistik 56), S. 279–300.
- Die Höflichkeit musikalischer Form. Tänzerische und anthropologische Grundlagen der frühen Instrumentalmusik, Kassel etc.: Bärenreiter, 2012.
Forschungsvorhaben: Die Bändigung musikalischer Kraft in der Frühen Neuzeit
Die Vorstellung, dass musikalische Kräfte Körper und Geist direkt beeinflussen, ist keine bloße Metapher, sondern zählt seit der Antike zu den wissenschaftlichen Grundüberzeugungen. Ebenso alt wie das Wissen um die unmittelbaren physischen und psychischen Folgen des Musikkonsums ist das Bemühen, die überwältigende Wirkung der Klänge auf den Menschen zu kontrollieren. Entsprechend wird bereits in Platons Politeia Musik für die Ausbildung der republikanischen Gesellschaft empfohlen, nicht jedoch, ohne eindringlich vor der Verwendung falscher Tonarten und Rhythmen zu warnen, die zur Verrohung oder Verweichlichung des Gemüts führen würden. Die historische Tragweite der allgemein anerkannten musikalischen Kräfte war enorm und prägte über Jahrhunderte die Vorstellung einer „Universalharmonik“, die als göttliches Prinzip von den Gestirnen bis zur irdischen Kreatur ausnahmslos alles bestimmte. Während die theoretischen Überlegungen im Rahmen von Theologie, Astronomie oder Medizin erfolgten, stand die musikalische Praxis immer wieder aufs Neue vor der Herausforderung, die überwältigenden Klänge mit kompositorischen oder aufführungspraktischen Mitteln zu zügeln. Im Rahmen des Projektes soll es darum gehen, die Bändigung musikalischer Kräfte in der Musiktheorie und Praxis des 17. und frühen 18. Jahrhunderts aufzuzeigen und damit zu einem Zeitpunkt, als die göttliche Universalharmonik obsolet wurde und der menschliche Sensualismus zur künstlerischen Richtschnur avancierte. Das Augenmerk gilt dem Balanceakt zwischen Sinnlichkeit und Moral in der Musik der Frühen Neuzeit.
Forschungsergebnisse: Marin Mersenne und die Bändigung musikalischer Kraft in der Frühen Neuzeit
Die Vorstellung, dass musikalische Kräfte Körper und Geist direkt beeinflussen, ist keine bloße Metapher, sondern zählt seit der Antike zu den wissenschaftlichen Grundüberzeugungen. Ebenso alt wie das Wissen um die unmittelbaren physischen und psychischen Folgen des Musikkonsums ist das Bemühen, die überwältigende Wirkung der Klänge auf den Menschen zu kontrollieren. Entsprechend wird bereits in Platons Politeia Musik für die Ausbildung der republikanischen Gesellschaft empfohlen, nicht jedoch, ohne eindringlich vor der Verwendung falscher Tonarten und Rhythmen zu warnen, die zur Verrohung oder Verweichlichung des Gemüts führen würden. Die Tragweite der allgemein anerkannten musikalischen Kräfte war enorm und prägte über Jahrhunderte die Vorstellung einer Universalharmonik, die als göttliches Prinzip von den Gestirnen bis zur irdischen Kreatur ausnahmslos alles bestimmte. Während die theoretischen Überlegungen im Rahmen von Theologie, Astronomie oder Medizin erfolgten, stand die musikalische Praxis immer wieder aufs Neue vor der Herausforderung, die überwältigenden Klänge mit kompositorischen oder aufführungspraktischen Mitteln zu zügeln.
Im Zentrum der Untersuchung stand der Minimenpater Marin Mersenne, der sich einerseits klar in die Tradition der Universalharmonik stellte, andererseits jedoch nicht nur die Bedeutung musikalischer Praxis betonte, sondern hauptsächlich danach strebte, die Musiktheorie auf den Stand der neuesten Physik zu überführen. Bemerkenswert erscheint insbesondere die ungewöhnlich frühe und grundsätzliche Rezeption von Galileo Galileis Mechanik, und dies ausgerechnet kurz nach Galileis Verurteilung wegen Häresie-Verdachts. So widersprüchlich die disparaten Parameter aus Theologie, Physik und höfischem Verhaltensideal im Frankreich des frühen 17. Jahrhunderts auch waren, so differenziert spiegelt sich das Ringen um einen gemeinsamen Nenner für die physikalische Kraft von Musik und deren moralische Zulässigkeit in den wirkmächtigen Schriften Mersennes.