Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer
Vita
Martin Jörg Schäfer ist seit 2014 Professor für Neuere deutsche Literatur mit Schwerpunkt Theaterforschung an der Universität Hamburg. Nach seiner Promotion ebendort (2001) gab es Lehr- und Forschungsstationen an der Universität Paderborn, der New York University, der Universität Erfurt (Habilitation 2010), der Akademie der bildendenden Künste Wien, dem Weimarer Nietzsche-Kolleg sowie der Universität Siegen. Gastprofessuren führten ihn seither an die Rutgers University und die Johns Hopkins University in den USA; er war außerdem als Gastdozent an der Fudan Universität in Shanghai tätig. Aktuell forscht er zu Schriftartefakten in den szenischen Künsten (im Rahmen des Hamburger Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“), zu ko-kreativ entstandenen Texten im Gegenwartstheater (im Austausch mit Hamburger Theatern und der hiesigen Freien Szene) sowie zu Kulturtechniken und Metaphorologien des Versammelns (im Rahmen des DFG-Forschungsnetzwerks „Versammeln“).
Publikationen (Auswahl)
- K. Nissen-Rizvani, M.J. Schäfer (Hg.): TogetherText. Prozessual erzeugte Texte im Gegenwartstheater. Theater der Zeit: Recherchen. Berlin 2020.
- M.J. Schäfer: Das Theater der Erziehung. Goethes „pädagogische Provinz“ und die Vorgeschichten der Theatralisierung von Bildung. Transcript Verlag. Bielefeld 2016.
- geheimagentur, M.J. Schäfer, V. Tsianos: The Art of Being Many. Towards a New Theory and Practice of Gathering. Transcript Verlag. Bielefeld 2016.
- Netzwerk Kunst und Arbeit: art works. Ästhetik des Postfordismus. b_books. Berlin 2015.
- M.J. Schäfer: Die Gewalt der Muße. Wechselverhältnisse von Arbeit, Nichtarbeit, Ästhetik. diaphanes. Zürich/Berlin 2013.
- M.J. Schäfer, N. Werber (Hg.): Inszenierungen von ‚Intensität‘ und ‚Lebendigkeit‘ in der Gegenwartsliteratur. LiLi (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik), Nr. 170, Juni 2013.
- S. Peters, M.J. Schäfer (Hg.): „Intellektuelle Anschauung“. Figurationen von Evidenz zwischen Kunst und Wissen. Transcript Verlag. Bielefeld 2006.
Forschungsvorhaben: Kräfte des Sich-Versammelns
Das Projekt widmet sich den Weisen, wie Diskurse über das Sich-Versammeln eines politischen Gemeinwesens seit dem 18. Jahrhundert von verschiedenen Übersetzungen von dynamis, vis und potentia durchzogen sind, die miteinander in variable Konstellationen gebracht werden. Stets findet sich die Konstitution eines politischen Wirkungszusammenhanges im guten oder schlechten Sinne als Effekt der von einer körperlichen Versammlung freigesetzten oder erzeugten „Kräfte“ beschrieben, für die auch Begriffe wie „Macht“, „Gewalt“ oder im 20. Jahrhundert „Energie“ ins Spiel kommen. Diese Begriffe erfüllen oft eine ähnliche diskursive Funktion, ohne auf einen gemeinsamen Nenner reduzierbar zu sein. Das Projekt rekonstruiert entsprechende Entwicklungslinien, Zusammenhänge und Brüche etwa zwischen der Behauptung einer gemeinsamen „Kraftentfaltung“ der Zusammengekommenen (z.B. von Rousseau bis aktuell Butler), dem die Versammelten regredieren lassendes „Machtgefühl“ (z.B. in Freuds oder Canettis Auseinandersetzung mit der modernen „Masse“) oder einem immer drohenden Umschlag einer politischen „Macht“ der Vielen in die Unterdrückung durch „Gewalt“ (Arendt). Diese Plausibilisierungen über „Kräfte“, „Mächte“, „Gewalten“ und „Energien“ will das Projekt metaphorologisch nachzeichnen sowie in Bezug zu den Wissensdiskursen bezüglich der „Natur“ setzen, die sich hier teils aufgerufen und teils überblendet finden.
Forschungsergebnisse: Kräfte des Sich-Versammelns
Im Zeichen der von aktuellen politischen Praktiken des Versammelns aufgeworfenen Problemstellungen widmete das Projekt sich den Weisen, wie Diskurse über das Sich-Versammeln eines politischen Gemeinwesens seit dem 18. Jahrhundert von verschiedenen Übersetzungen von dynamis, vis und potentia durchzogen sind, die miteinander in variable Konstellationen gebracht werden. Dabei konnten die Argumentationsmuster und metaphorischen Strategien herausgearbeitet werden, mit denen die Konstitution eines politischen Wirkungszusammenhanges sich als Effekt der von einer körperlichen Versammlung freigesetzten oder erzeugten „Kräfte“ (im guten oder schlechten Sinne) beschrieben finden. Das Projekt fokussierte die unterliegenden Kraftmetaphoriken und Begriffe in Theorien und Phantasien vom demokratischen Potential der politischen Versammlung von Rousseau bis aktuell Butler mit besonderem Augenmerk auf Rousseau (Du contract social) und Arendt (The Human Condition). Herausgearbeitet werden konnte die Rhetorik des Umschlags von einem mechanischen oder vitalistischen Verständnis von (körperlicher) Kraft in ein mystisch eingefärbtes Verständnis von „Macht“. In detaillierter Textarbeit konnte unter Berücksichtigung der aufgerufenen naturwissenschaftlichen und metaphysischen Kraftbegriffe die innere Spannung der jeweiligen Entwürfe herausgearbeitet werden: Beide sind für die Behauptung einer politischen „Macht“ der Versammlung darauf angewiesen, dass jene mechanischen oder vitalistischen Kräfte, von denen diese Macht gerade reingehalten werden soll, versteckt weiterwirken müssen, sozusagen von hinter den Kulissen.