Prof. Dr. Robert Gugutzer
Foto: Uwe Dettmer
Vita
Robert Gugutzer ist seit 2009 Professor für Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Psychologie an den Universitäten Tübingen und LMU München, wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenburg mit einer Arbeit zum Thema Leib, Körper und Identität. Eine phänomenologisch-soziologische Untersuchung zur personalen Identität promoviert und habilitierte sich an der Universität Augsburg mit einer Schrift zum Thema Verkörperungen des Sozialen. Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt insbesondere die Körpersoziologie, zu der er die bislang einzige deutschsprachige Einführung verfasst (erscheint 2022 in sechster Auflage) und ein zweibändiges, 1.200 Seiten umfassendes Handbuch mitherausgegeben hat (erscheint 2022 in zweiter Auflage). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Sportsoziologie, aktuell insbesondere die Sportsucht und die Atmosphären des Sports. Seit 2017 ist er Editor-in-Chief der für dieses Forschungsfeld zentralen Zeitschrift Sport und Gesellschaft. Sein philosophisches Interesse gilt vor allem der Neuen Phänomenologie, auf deren Grundlage er das Theorie- und Forschungsprogramm einer Neophänomenologische Soziologie (des Sports) erarbeitet.
Publikationen (Auswahl)
- Robert Gugutzer (2020): Atmosphären, Situationen und der Sport. Ein neophänomenologischer Beitrag zur soziologischen Atmosphärenforschung. In: Zeitschrift für Soziologie 49 (5-6), S. 371-390.
- Robert Gugutzer (2019): Being and feeling addicted to exercise: Reflections from a neophenomenological perspective. In: Journal of the Philosophy of Sport 46 (1), S. 30-48.
- Robert Gugutzer/Gabriele Klein/Michael Meuser (Hg.) (2017): Handbuch Körpersoziologie (Band 1: Grundbegriffe und theoretische Perspektiven, Band 2: Forschungsfelder und methodische Zugänge.) Wiesbaden: Springer VS.
- Robert Gugutzer (2017): Leib und Situation. Zum Theorie- und Forschungsprogramm der Neophänomenologischen Soziologie. In: Zeitschrift für Soziologie 46 (3), S. 147-166.
- Robert Gugutzer (2015): Soziologie des Körpers (5., vollst. überarbeitete und erweiterte Aufl.). Bielefeld: transcript.
- Robert Gugutzer (2012): Verkörperungen des Sozialen. Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen, Bielefeld: transcript.
- Karl-Heinrich Bette/Robert Gugutzer (2012): Sport als Sucht. Zur Soziologie einer stoffungebundenen Abhängigkeit. In: Sport und Gesellschaft 9 (2), S. 107-130.
Forschungsvorhaben: Kraft – Sport – Sucht. Leibphänomenologische und körpersoziologische Annäherungen an das Suchtpotenzial des Kraft-, Muskel- und Fitnesssports
Kraft ist ein konstitutives Merkmal jeder sportlichen Aktivität. Die Sportwissenschaft unterscheidet hierbei traditionell zwischen Maximal-, Schnell- und Reaktivkraft sowie Kraftausdauer. Ihr Kraftverständnis ist damit ein physikalisches. Davon abgrenzen lässt sich ein phänomenologisches Kraftverständnis. Aus der Erste-Person-Perspektive erscheint Kraft im Sport beispielsweise als vitaler Antrieb, sich zu bewegen, als leibliche Intensität in der Kraftanstrengung, als quälender Widerstand beim Durchhalten einer sportlichen Tätigkeit, als Sog im Windschattenfahren, als Führen und Folgen im Paartanz, als eine vom rhythmischen Klatschen der Zuschauer ausgehenden Bewegungssuggestion oder als Ergriffensein von machtvollen Gefühlen wie Wettkampfangst oder Torschusspanik. Das zentrale ästhetische Symbol für Kraft im und durch Sport sind Muskeln. Eine soziale Entsprechung findet dies in den Kraft-, Muskel- und Fitnesssportarten (Kraftdreikampf, Bodybuilding, CrossFit etc.). Wie empirische Untersuchungen zeigen, ist für immer mehr Menschen ihr Kraft-, Muskel- und Fitnesssport von so zentraler Bedeutung, dass sich sagen lässt, sie seien von ihrem Sport abhängig. Die Sportwissenschaft spricht in diesen Fällen von einer Sportsucht.
Im Mittelpunkt meines Forschungsvorhabens steht eine leibphänomenologische und körpersoziologische Auseinandersetzung mit dem Suchtpotenzial von Kraft-, Muskel- und Fitnesssportarten. Es bereitet damit den theoretisch-konzeptionellen Rahmen sowie den empirischen Teil eines Buchprojekts zum Thema „Suchtkarrieren im Sport“ vor.
Forschungsergebnisse: Kraft – Sport – Sucht. Leibphänomenologische und körpersoziologische Annäherungen an das Suchtpotenzial des Kraft-, Muskel- und Fitnesssports
Ich habe den Aufenthalt in der Kolleg-Forschungsgruppe zum einen für die Weiterarbeit an dem geplanten Buchprojekt „Suchtkarrieren im Sport“ genutzt, zum anderen für den Entwurf einer „Phänomenologie der Kraft“.
Der erste Teil meines Forschungsaufenthalts galt der Analyse und Interpretation von Interviews mit sportsüchtigen Frauen und Männern, die primär Kraft-, Muskel- oder Fitnesssportarten ausüben, beispielsweise Bodybuilding, Kraft-Dreikampf oder Crossfit. Im Mittelpunkt stand hier die Frage, welches Suchtpotenzial „Kraft“ in diesen Sportarten besitzt, da sie hier explizit zum Thema wird. Auf der empirischen Grundlage von zwei Interviews, die als biografische Fallanalysen in das Buch eingehen werden, habe ich die leiblich-spürende, körperlich-funktionale und symbolisch-ästhetische Kraftdimension sportsüchtigen Handelns und Erlebens rekonstruiert.
Daran anknüpfend habe ich mich im zweiten Teil meines Forschungsaufenthalts mit dem Semesterthema „Körperkraft“ aus einer phänomenologischen Perspektive befasst. Welches Phänomen ist Körperkraft bzw. Kraft allgemein? In der Auseinandersetzung mit dieser Frage rückte die leibliche Dimension von Kraft in den Mittelpunkt. So mündete meine Arbeit an einer Phänomenologie der Kraft in einen Aufsatz*, in dem ich Kraft als „zudringliches Wirken durch einseitige Einleibung“ definiert habe. Je nach Kraftquelle ist das zudringliche Wirken von Kraft in der Ersten-Person-Perspektive als ziehend/drückend, zentrifugal/zentripetal, hebend/senkend, stark/schwach, leicht/schwer leiblich erfahrbar. Diese Phänomenologie der Kraft dürfte sowohl für das Thema (Sport-)Sucht – Sucht ist ein Kraftphänomen – als auch für die Soziologie – soziale Kräfte wirken auf einer (trans-)leiblichen Ebene – erkenntnisrelevant sein.
* Gugutzer, Robert (2022): Phänomenologie der Kraft. Ein Entwurf in soziologischer Absicht. In: Jonas Barth/Anna Henkel (Hg.): Leib. Grenze. Kritik. Festschrift für Gesa Lindemann zum 66. Geburtstag. Weilerswist: Velbrück, S. 61-73.