Prof. Dr. Ulrich Pfisterer
Vita
Ulrich Pfisterer lehrt seit 2006 Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München; außerdem leitet er seit 2015 das Zentralinstitut für Kunstgeschichte ebendort. Seine Forschungsinteressen gelten dem Verhältnis von künstlerischer Praxis und Theorien, Konzepten, Metaphern der Künste, der frühneuzeitlichen Auseinandersetzung mit Artefakten aus der Antike und von außerhalb Europas, dem Zeichenunterricht und der Rolle des Zeichnens in der Wissensökonomie (Projekt Episteme der Linien) sowie der Wissen(schaft)s- und Methodengeschichte der Disziplin. In den letzten Jahren hat er mehrfach auch Ausstellungen mitkonzipiert, etwa Phönix aus der Asche. Bildwerdung der Antike – Druckgrafiken bis 1869 (München 2019), The Renaissance Nude (Los Angeles/London 2018) oder Wettstreit in Erz. Porträtmedaillen der deutschen Renaissance (München/Dresden/Wien 2013).
Publikationen (Auswahl)
- Raffael. Glaube - Liebe - Ruhm, München: Beck 2019.
- „Die Kraft der Libido. Peter Flötners Holzschuher-Pokal und der Fortschritt der Kunst“, in: Frank Fehrenbach/Robert Felfe/Karin Leonhard (Hg.): Kraft, Intensität, Energie. Zur Dynamik der Kunst, Berlin/Boston: De Gruyter 2018, S. 123-146.
- Aby Warburg - Fragmente zur Ausdruckskunde (Gesammelte Schriften - Studienausgabe, Bd. IV), Berlin: De Gruyter 2015 [hg. zusammen mit Hans-Christian Hoenes].
- Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper, Berlin: Wagenbach 2014.
- Lysippus und seine Freunde. Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder: Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin: Akademie 2008.
Forschungsvorhaben: Antriebskräfte menschlicher Bildproduktion - frühneuzeitliche Theorien und globale Perspektiven
In der Frühen Neuzeit wurde die Frage, warum und in welchen Entwicklungsetappen die Menschen Bildwerke produzierten, intensiv diskutiert - allerdings zumeist nicht in Texten, die seit Julius von Schlosser als „Die Kunstliteratur“ kanonisiert sind. Das Projekt untersucht möglichst umfassend diese wenig beachteten Zeugnisse einer frühneuzeitlichen kulturvergleichenden Perspektive auf Bildwerke in und außerhalb Europas. Insbesondere die Verehrung heidnischer Idole (parallel zur Diskussion über die ‘fehlgeleitete’ altgläubige Bildervehrerung aus reformierter Sicht) provozierte eine Fülle von Texten über die Wirkmacht und ‘Kraft’ von Bildern. In einem zweiten Schritt wird der Relevanz dieser Theorien für die Bildproduktion und Ordnung von Bildern und Artefakten in Sammlungen nachgegangen. Geplant ist eine Monographie, die 2021 erscheinen soll.
Forschungsergebnisse: Bilder-Machen: Antriebskräfte und Anthropologie im Europa der Frühen Neuzeit
Mein Projekt untersucht die frühneuzeitlichen Vorstellungen zu den Antriebskräften menschlicher Bildproduktion weltweit. Dabei geht es um drei größere Thesen: 1. In der europäischen Frühen Neuzeit werden die Kulturen der ganzen Welt nach hierarchischen Entwicklungsstufen geordnet. Dabei sind diese Entwicklungsstufen ganz wesentlich über ihre Artefakte und ihren Bildgebrauch gekennzeichnet. 2. Klar ist, dass diese europäischen Vorstellungen der Frühen Neuzeit in höchstem Maße eurozentrisch sind. Gleichwohl gilt es zu betonen, dass bei allen Stimmen, die in Europa den Gipfel der Entwicklung sehen, und bei aller Verurteilung nicht-christlicher Kulte es auch Positionen gab, die außer-europäische Kunstprodukte bewunderten, die ein wirklich wissenschaftliches, nicht vor-verurteilendes Interesse hatten und vor allem: Die diese Kulturstufen als Vorgeschichte von Europa selbst zu begreifen versuchten. Oder pointierter formuliert: Ganz im Sinne dessen, was im 19. Jahrhundert als ethnographische Parallelen bezeichnet wurde, diente in der Frühen Neuzeit die geographisch horizontale Erkundung der Kulturen der Welt immer auch der vertikalen, in die zeitliche Tiefe zurückreichenden Erkenntnis der eigenen historischen Vorstufen. 3. Artefakte und Bilder ermöglichten einen entscheidenden Zugang zu diesen Fragen. Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind daher die vier exzeptionellen Bildtafeln mit originaler Rahmung zu den Vier Erdteilen des Niederländers Jan van Kessel, entstanden zu Beginn der 1660er Jahre (Alten Pinakothek München). So soll das Projekt auch aufzeigen, wie Vorstellungen zu einer ‚anthropologischen Kraft‘ des Bildermachen, der Artefakte und Kunst parallel in Text und Bild thematisiert werden.