PD Dr. Georg Toepfer
Vita
Georg Toepfer ist stellvertretender Direktor des Berliner Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung (ZfL). Er studierte Biologie in Würzburg und Buenos Aires, schloss das Biologiestudium mit einem Diplom ab und wurde an der Universität Hamburg im Fach Philosophie promoviert, in dem er sich an der Universität Bamberg auch habilitierte. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte und Philosophie der Lebenswissenschaften sowie die kulturellen Bezüge und begrifflichen Übertragungen des biologischen Wissens.
Publikationen (Auswahl)
- Organismus. Die Erklärung der Lebendigkeit, hg. zus. mit Francesca Michelini, Freiburg im Breisgau 2016.
- Evolution, Stuttgart 2013.
- Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, 3 Bde., Stuttgart, 2011.
- Philosophie der Biologie. Eine Einführung, hg. zus. mit Ulrich Krohs, Frankfurt am Main 2005.
- Zweckbegriff und Organismus. Über die teleologische Beurteilung biologischer Systeme, Würzburg 2004.
Forschungsvorhaben: Biologische Autonomie: Die Kraft aus der Form, oder: Die Rehabilitierung der Lebenskraft aus dem Paradigma der Selbstorganisation
Das Projekt zielt auf eine Rekonstruktion der Rolle des Kraftbegriffs in biologischen Theorien und der Philosophie der Biologie seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Als Ausgangspunkt dient die Beobachtung, dass ›Kraft‹ über Jahrhunderte ein für die Biologie ebenso zentraler wie umstrittener Begriff war. Mit der Begrifflichkeit der Kraft bemühten sich die Theoretiker um Anschluss an Physik und Physiologie ihrer Zeit und fassten ›Lebenskraft‹ dementsprechend als einen Sammelbegriff auf, der die differenzierte Begrifflichkeit zur Beschreibung und Erklärung der organischen Bewegungsprozesse wieder zusammenführen sollte – ohne selbst aber einen geklärten und operationalisierbaren Status aufzuweisen. Es ist daher als ein »Lückenparadigma« bezeichnet worden (Engels 1982). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird der Begriff zunehmend durch das Konzept der Organisation abgelöst: Die organischen Kräfte werden in der spezifischen Konstellation der lebendigen Körper verortet, sie werden verstanden als »eine Folge der Organisation« des Körpers (Tetens 1777). Bis in unsere Zeit ist diese Auflösung des Kraftbegriffs und seine Rückführung auf die Organisation eines Körpers und die Konstellation seiner Teile die herrschende Auffassung. In dieser Konzeption werden die Kräfte zu abgeleiteten, sekundären Phänomenen, die nicht der Konstitution eines Systems zugrunde liegen, sondern erst aus dieser folgen. Sie ergeben sich aus der Organisation, der Form, eines Systems. Näher zu klären bleibt dabei, wie genau der Zusammenhang zwischen Form und Kraft zu denken ist. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Vorstellung von einem durch Formen (als constraints) bedingten Kausalregime der Organismen, das deren Autonomie begründet, (Moreno und Mossio 2015) an die älteren Lehren von »Formursachen« oder einer »Abwärtsverursachung« (downward causation) anschließt.
Forschungsergebnisse: Biologische Autonomie: Die Kraft aus der Form, oder: Die Rehabilitierung der Lebenskraft aus dem Paradigma der Selbstorganisation
›Kraft‹ fungierte in der Geschichte der Biologie als Differenz- und Einheitsprinzip: In der Form der einen ›Lebenskraft‹ diente der Begriff bis um 1800 dazu, das Besondere der Lebewesen hervorzuheben und die Notwendigkeit der kausalen Erklärung organischer Bewegungsvorgänge zu markieren; die um 1800 einsetzende funktionsspezifische Pluralisierung der Kräfte führt dagegen zu einer holistischen Auflösung der einen Lebenskraft in ein Netz von sich gegenseitig beeinflussenden und kontrollierenden Faktoren. An die Stelle der älteren agentenzentrierten Kraftbegrifflichkeit trat damit eine dezentrierende interaktionistische und systemische Perspektive. Parallel zur Entwicklung in der Physik gewannen auch in der Biologie ›kraftfeindliche‹ Bewegungen im 19. Jahrhundert an Boden, und es erfolgte eine Rückführung der Kräfte auf die spezifischen Formen von Lebewesen (Driesch: »Konstellationskausalität«). Indem die organischen Formen als die spezifisch organischen Kraftfaktoren bestimmt wurden, gewann die Morphologie besondere explanative Relevanz für die Biologie. Im Anschluss an die neuere biophilosophische Debatte, die vom Konzept der »Organisation« ausgeht und diese als ein spezifisches kausales Regime versteht (Moreno, Mossio), können die organischen Formen – trotz ihrer nicht ereignishaften, »zeitallgemeinen« Struktur ‒ als Kräfte angesehen werden, als die einzigen spezifisch organischen Kräfte, die in der Selbstorganisation der organischen Körper erzeugt und erhalten werden.