Prof. em. Dr. Thomas Leinkauf
Foto: Thomas Kundy
Vita
Thomas Leinkauf, Fach Philosophie, 1991-1996 Heisenberg-Professsur FU Berlin, 1996-2021 Professur Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Direktor der Leibniz-Forschungsstelle, Fellow und Senior-Fellow am MPI Florenz 2007-2009, University of California LA 2011, Karls-Universität Prag 1992-93, Scuola Normale Pisa 1999, 2017, Roma Sapienza 2021. Opus Magnum-Förderung 2011-2013. Verschiedene DFG-und Thyssen-Stiftung Projekte, vor allem dasjenige der Berliner Forschungsgruppe zu 'Lichtgefügen' (Carolin Bohlmann, Thomas Fink, Philipp Weiss).
Publikationen (Auswahl)
- Dialettiche del Rinascimento (mit Gianlucca Cuozzo), Milano (Mimesis) 2021.
- Philosophie des Humanismus und der Renaissance 1350-1600, Hamburg (Meiner) 2017, 2 Bde.
- Intensität und Realität. Systematische Analysen zur Problemgeschichte von Gradualität, Intensität und quantitativer Differenz (mit Thomas Kisser), Berlin (DeGruyter) 2016.
- Licht, Intensitätsraum und Lichtentfaltung. Zur Raum-und Lichtauffassung im 16 und 17. Jahrhundert, in: Ad fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts, hg. von Claudia Fritzsche, Karin Leonhard, Gregor J. M. Weber, Petersberg 2013, S. 17-35.
- Einheit, Natur, Geist. Beiträge zu metaphysischen Grundproblemen im Denken von Gottfried Wilhelm Leibniz, Berlin (Trafo) 2012.
Forschungsvorhaben: Untersuchungen zum Problem von Gradierungen-Intensitäten in Kraft-Feldern, Lichtverhältnissen und Farbwerten
Eine Projektbeschreibung folgt in Kürze.
Forschungsergebnisse: Untersuchungen zum Problem von Gradierungen-Intensitäten in Kraft-Feldern, Lichtverhältnissen und Farbwerten
In den zwei Monaten meines Aufenthaltes habe ich an einem Projekt zur Rekonstruktion der Entwicklung des Begriffs der Intensität zwischen 13. und 16. Jahrhundert gearbeitet und dessen Beziehungen zum Begriff der ‚Kraft‘ (vis, virtus, potentia) herauszustellen versucht. Es gab hierzu natürlich Vorarbeiten (T. L., Möglichkeit, Potential und Kraft, in: Kraft, Intensität, Energie. Zur Dynamik der Kunst, ed. Frank Fehrenbach, Robert Felfe, Karin Leonhard, Berlin (De Gruyter) 2018, S. 31-51; Id., Licht, Intensitätsraum und Lichtentfaltung, in: Ad Fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts, ed. Claudia Frizsche, Karin Leonhard, Gregor Weber, Petersberg 2013 S. 17-34 mit weiterer Literatur), die Ausgangsfrage kommt aus einer Analyse der Präsenz von Hell-Dunkel-Gradierungen (chiaro-scuro) und Farbintensitäten in Gemälden des 16. Jahrhunderts seit der Einführung des chiaro-scuro durch Leonardo. Der Präsenz dieser Intensitäts-Abstufungen sowohl im Licht-als auch im Farbwert, die bis hin zum späten Tizian eine dramatische Entwicklung durchmachen wird, entspricht nahezu nichts auf Seiten der Entwicklung der Wissenschaft: ein Blick auf die einschlägigen Texte der im 16. Jahrhundert in den Naturwissenschaften führenden Universität von Padua – also vor allem auf die Kommentare zur Physik des Aristoteles – zeigt, ähnlich wie es sich auch beim Problem des dreidimensionalen Perspektiv-Raumes verhält, keine vergleichbare theoretische Position, die der geometrisch-malerischen Praxis irgendwie hätte eine begriffliches Rüstzeug geben können. Selbst die Entwicklung der Optik und ihrer geometrisierten Darstellung geht auf das Phänomen der gradierten Intensität nicht ein. Von diesem Resultat ausgehend bewege ich mich in meinen Forschungen sozusagen ‚zurück‘ in die dem 16. Jahrhundert voraus liegende philosophische Debatte, das heißt in Richtung auf die Ursprünge des Intensitäts- oder Stufungsbegriffs in der Scholastik auf der einen Seite und in die davon sich absetzenden Diskussionen auf Seiten der Humanisten und Platoniker des 14. bis 15. Jahrhunderts. In Hamburg habe ich mich insbesondere – auf Basis der Arbeiten von Pierre Duhem, Anneliese Maier, Alister Mc Crombie u.a. – mit den theologischen Ursprüngen einer später dann rein Natur-theoretischen Diskussion beschäftigt. In der Kürze der Zeit konnten nur wenige der zentralen Texte eingehender studiert werden, darunter zählen etwa der fundamentale Physik-Kommentar des Albertus Magnus (Physcia, Pars I, libri 1-4, ed. P. Hossfeld, Monasterii Westfalorum 1987), sowie Abhandlungen (Quaestiones, Tractatus etc.) von Robert Grosseteste oder Gottfried von Fontaines u.a. Die philosophische Grundproblematik der Intensität hat ihren Ursprung sicherlich schon im Denken Platons und vor allem des Aristoteles, sie gewinnt aber seit dem 13. Jahrhundert, seit der verpflichtenden Lektüre und Kommentierung der Sentenzen des Petrus Lombardus für jede Magister- und Dissertations-Qualifikation an den europäischen großen theologischen Hochschulen, eine neue Wendung, die aus einer genuin theologischen Fragestellung resultiert: Wie kann die rückhaltlose Mitteilung göttlicher Gnade (gratia, charis), die von Seiten Gottes in einem absoluten Sinne umfassend ist (Begriff des diffusivum sui, Tradition des Liber de causis), dennoch limitiert und abgestuft sein, also zwischen Engeln, Heiligen, Klerikern oder Laien in einer unendlich abgestuften Form auftauchen? Diese Fragestellung wurde schon im Sentenzen-Buch des Lombarden exemplifiziert an der Licht-und Wärmeausstrahlung und deren zunehmender Verminderung insofern man sich von der jeweiligen Quelle entfernt. Dies ist der Ausgangspunkt meiner Forschungen, denen ich natürlich, auf Grund des Umfangs der Textmassen, die ihr einzusehen und zu interpretieren sind, nur in Teilen nachkommen konnte (in meinem Vortrag bin ich darauf hinlänglich eingegangen).