Prof. Dr. Petra Lange-Berndt
Foto: Olaf Pascheit
Vita
Petra Lange-Berndt ist Professorin für moderne und zeitgenössische Kunst am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg; zuvor lehrte sie acht Jahre lang zunächst als Lecturer dann als Reader am Department of History of Art, University College London. Sie hat zu Tieren und Taxidermie (Animal Art, Präparierte Tiere in der Kunst, 1850–2000, Silke Schreiber 2009), Psychedelia und Intermedia (Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er, Walther König 2009 / englisch 2011), Materialfragen (Materiality: Documents of Contemporary Art, MIT Press, 2015) sowie Konzeptkunst (Hanne Darboven: Korrespondenz, 1967–1975, 10 Bände, Verlag Walther König 2015) publiziert. Petra Lange-Berndt hat zudem eine Reihe von Ausstellungen kuratiert: Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er an der Hamburger Kunsthalle (2009–10, mit Dietmar Rübel und Dorothee Böhm), eine Show in drei Teilen, die vom Internationalen Kunstkritikerverband AICA zur Ausstellung des Jahres gekürt wurde; Mark Dion: Die Akademie der Dinge an der Akademie der Künste, dem Albertinum und dem Grünen Gewölbe, Dresden (2014–15, mit Dietmar Rübel, Katalog bei Walther König); Hanne Darboven: Korrespondenzen am Hamburger Bahnhof, Berlin (2017, mit Gabriele Knapstein und Dietmar Rübel) sowie Singular / Plural: Kollaborationen in der Post-Pop-Polit-Arena, Kunsthalle Düsseldorf (2017, mit Max Schulze, Dietmar Rübel) sowie die Reihe Inversionen am Warburg-Haus, Hamburg (#1 Lucy Raven, #2 Georges Adéagbo, mit Rebekka Seubert). Petra Lange-Berndt ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Museums für Naturkunde in Berlin. Für mehr Information siehe: http://petralangeberndt.de
Publikationen (Auswahl)
Bücher
- Materiality. Documents of Contemporary Art, Cambridge Mass.: MIT Press, 2015, 240 Seiten (2. Auflage 2017)
- Mark Dion: The Academy of Things / Die Akademie der Dinge, Ausst.-Kat. Albertinum und Grünes Gewölbe Dresden, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2015, (deutsch & englisch, hg. mit Dietmar Rübel)
- Animal Art. Präparierte Tierkörper in der Kunst, 1850—2000, München: Verlag Silke Schreiber 2009
Aufsätze
- „Evolution détournée. Asger Jorns politische Menagerie“, in: Ausst.-Kat. Asger Jorn. Without Boundaries, Deichtorhallen Hamburg 2018, 94-109.
- „Schwarmfieber. Tessa Farmers parasitäre Evolution“, in: Frank Fehrenbach / Matthias Krüger (Hg.): Der achte Tag. Naturbilder in der Kunst des 21. Jahrhunderts, Berlin, Boston 2016, 201-223.
- „Von der Gestaltung untoter Körper. Techniken zur Animation des Leblosen in Präparationsanleitungen um 1900“, in: Peter Geimer (Hg.): UnTot. Existenzen zwischen Leben und Leblosigkeit, Berlin: Kadmos 2014, 83-104.
Forschungsvorhaben: Forming Collectives: Colonies, Communes and Squats in Contemporary Art
Das Wort Ökologie verweist auf den altgriechischen Begriff oikos – das Haus oder den Haushalt. Wenn also über die Prozesse der Natur sowie die Relation des Menschen zu anderen Tieren, Lebewesen oder Landschaften reflektiert wird, steht auch die Frage danach zur Diskussion, wie wir diese Erde gemeinsam bewohnen. Mein aktuelles Forschungsprojekt spürt den historisch gewachsenen Verbindungen entsprechender Fragestellungen mit diversen Countercultures und alternativen Lebensentwürfen nach. In diesem Kontext interessieren mich moderne und zeitgenössische Kunstprojekte, die das Leben in Kolonien, Kooperativen oder Kommunen modellhaft untersuchen. Im Mittelpunkt stehen Architekturen, posthumane relationale Netzwerke sowie entsprechende historische Vorläufer – eben ein Leben in und mit Natur.
Forschungsergebnisse: Forming Collectives: Colonies, Communes and Squats in Contemporary Art
In meinen aktuellen Forschungen stehen Kunstprojekte, die seit den 1970er Jahren, also zu Zeiten des anbrechenden Neoliberalismus, alternative wie kollektive Wohnsituationen in und mit Natur austesten, im Mittelpunkt. Während meines Fellowships habe ich mich zwei Bereichen gewidmet:
1. Treehugging: Solche Aktionen, die sich auch in der modernen und zeitgenössischen Kunst finden, besitzen zahlreiche historische Vorläufer; sie boten Anlass, der Relation von Mensch und Baum nachzuspüren. Während der Lebensreformbewegungen kam es seit Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum zu einer fundamentalen Kritik an Industrialisierung, Urbanisierung und entsprechenden kapitalistischen Strukturen. Hierbei spielen Bezüge zu einem angenommenen „Naturzustand“ eine zentrale Rolle; über diesen Bezug kann zudem die Verbindung von „Kraft“ und „Natur“ für den skizzierten Zusammenhang problematisiert werden. Die Lebensreformbewegung und ihr schwieriges Erbe im Nationalsozialismus hat vielfältige Echos innerhalb zeitgenössischer, ökologisch motivierter Kunst hinterlassen. Ab den 1960er Jahren wandten sich Künstler*innen von den Bäumen der Imagination ab und begegneten Pflanzen in der Sphäre des Alltäglichen, um alternative Beziehungsweisen zwischen Mensch und Natur zu thematisieren. Lebendige Pflanzen stellten bei den fokussierten Kunstprojekten nicht das andere oder binäre Doppel des Subjekts, des Selbst, der Verkörperung oder des Bewusstseins dar. Bäume entgleiten in Aktionen und Performances von Guiseppe Penone oder Gordon Matta-Clark dem Zugriff und den Kräftespielen des Menschen. Verweise auf die indische Chipko-Bewegung helfen, diese künstlerischen Strategien zu problematisieren. In den beschriebenen Interaktionen treffen Menschen keine autonomen oder freien Entscheidungen, sondern sind in Ökologien eingebunden, Netzwerke, in denen unvorhersehbare oder unbeabsichtigte Effekte auftreten können. Überlegungen zu einer (öko-)feministischen Kritik und entsprechender Environmental Art in Arbeiten von Ana Mendieta, Petr Štembera sowie dem Duo Beth Stephens und Annie Sprinkle bilden den Abschluss dieser Überlegungen.
2. Lebensreform: Darüber hinaus habe ich mich eingehend mit der Lebensreformbewegung sowie vor allem einer Ausstellung von Harald Szeemann beschäftigt, die sich 1978–1980 dem Monte Verità. Berg der Wahrheit widmete. Die Gründer*innen des Monte Verità verstanden Natur und Menschen als Teile einer gemeinsamen Ko-Evolution. Es galt nicht, Flora und Fauna als ahistorische Größen zu schützen, sondern Mensch und eine sich beständig verändernde Umwelt zu harmonisieren, um auf dieser Grundlage ein „freies“ Leben führen zu können. Als eine Vergleichsebene betrachte ich die 1897 bis 1899 von dem Maler Wilhelm Diefenbach betriebene Kommune Himmelhof in der Wiener Gemeinde Ober Sankt Veit sowie ein gemeinsam mit dem Maler und Illustrator Hugo Höppener, genannt Fidus, erstelltes, monumentales Werk, dass ein gemaltes Manifest der Gruppenidentität darstellt – der 68 Meter lange Silhouettenfries Per aspera ad astra. Diefenbach vermischte Religiosität zeittypisch mit dem Glauben an evolutionäre Vorgänge und propagierte ein harmonisches Naturbild. Per aspera ad astra visualisiert einen zukünftigen, utopischen wie kultischen Ort, an welchem Körper den Status von Kunstwerken erhalten. Harald Szeemann betonte hingegen als zentrale These seiner Ausstellung, „daß die ideale Gesellschaft eine Utopie ist (...).“ Überlegungen zu völkisch-religiösen, nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Positionen innerhalb der Lebensreformbewegung sowie der Positionierung des historischen Monte Veritàs in diesem Kontext sowie in der Rezeption Szeemanns bilden den Abschluss dieser Überlegungen.