Prof. em. Dr. Rudolf Preimesberger
Vita
Rudolf Preimesberger wurde 1936 in Ebensee/Oberösterreich geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien und wurde dort 1962 mit Studien zur genuesischen Barockskulptur bei Karl Maria Swoboda (1889-1977) promoviert, war am dortigen Kunsthistorischen Institut, dem Österreichischen Institut für Historische Studien in Rom, der Bibliotheca Hertziana (Max-Planck-Institut) in Rom, sowie am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München tätig und wurde 1977 in München habilitiert. Er lehrte 1979-1983 an der Freien Universität Berlin, 1983-1989 an der Universität Zürich und von 1989 bis zu seiner Pensionierung 2001 an der Freien Universität Berlin, war Scholar in Residence am Getty Research Institute in Los Angeles sowie Samuel H. Kress Professor am Center for Advanced Study in the Visual Arts der National Gallery of Art in Washington und ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Sein Hauptinteresse gilt der Kunst der frühen Neuzeit mit dem Schwerpunkt Italien. Die bevorzugten Arbeitsgebiete sind: die Skulptur Italiens vom 16. bis zum frühen 18. Jahrhundert, Kunsttheorie und Gattungsgeschichte zwischen dem 15. und dem frühen 18. Jahrhundert, der Wettstreit der Künste, Modalitäten des Wort/Bild-Verhältnisses, Texte zum Porträt als Gattung, Kunst des Papsttums zwischen dem 16. und dem frühen 18. Jahrhundert, Gian Lorenzo Bernini, Raffael, Jan van Eyck, Caravaggio, St. Peter in Rom seit 1506.
Publikationen (Auswahl)
- Pontifex Romanus per Aeneam praesignatus. Die Galleria Pamphilj und ihre Fresken, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 16 (1976), S. 221-287.
- Zu van Eycks Diptychon der Sammlung Thyssen-Bornemisza, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 60 (1991), S. 459-489.
- Porträt, hg. von Rudolf Preimesberger, Hannah Baader und Nicola Suthor, mit Beiträgen von Karin Hellwig, Ulrike Müller Hofstede, Barbara Wittmann und Gerhard Wolf (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren 2), Berlin 1999, Darmstadt 2003.
- Paragons and Paragone. Van Eyck, Raphael, Michelangelo, Caravaggio, and Bernini, (Getty Publications), Los Angeles 2011.
- St. Peter in Rom. Medien und Gattungen seit 1506, in: Ortwin Dally, Tonio Hölscher, Susanne Muth, Rolf Michael Schneider (Hg.), Medien der Geschichte - Antikes Griechenland und Rom, Berlin/Boston 2014, S. 330-358.
Forschungsvorhaben: Anagnorisis. Probleme der Überlieferung und der Ausprägungen des Wiedererkennens in der Malerei des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts
An einer für die Theorie des Porträts in der frühen Neuzeit kapitalen Stelle seines Traktats über die Malkunst, von dem er in den Jahren 1435 und 1436 eine italienische und eine lateinische Fassung vollendete, handelt Leon Battista Alberti von der bezwingenden Wirkung des "Gesichts" eines "bekannten" - und als solcher vom Rezipienten "wiedererkannten" Mannes, das inmitten "anderer Gesichter und Figuren in einem Geschichtsbild" erscheine. Obwohl es, anders als diese, "weniger durch Kunstfertigkeit hervorrage", "reiße es dennoch die Augen aller Betrachter an sich". Zwei Arten der Wirkung, die stärkere beim Gesicht des "bekannten" - nämlich "wiedererkannten" - Mannes! Die zur Antithese zugespitzte Unterscheidung beruht auf einer Textpassage in Kapitel 4 der "Poetik" des Aristoteles. Ihr Auftreten bei Alberti geht der breiten Rezeption der "Poetik" seit dem ersten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts um Jahrzehnte voraus. Es bleibt zu betonen, dass Aristoteles in der erwähnten Textpassage das Beispiel der Betrachtung von Gemälden gewählt hat, um die zwei Arten der Wirkung auf den Betrachter zu beschreiben: Den Betrachter, der das im Gemälde Nachgeahmte "vorher gesehen" hat und folglich "wiedererkennt", und den anderen, dem beides vorenthalten bleibt. Entscheidend ist bekanntlich der Umstand, dass Aristoteles den Begriff des Wiedererkennens, in berühmten späteren Kapiteln der "Poetik" zum terminus technicus seiner Dichtungstheorie, besonders für die Tragödie, gemacht hat.
"Anagnorisis/Wiedererkennen" dient als der gemeinsame Ausgangspunkt für eine Reihe von Fallstudien zu Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts. Aktuell stehen Gemälde El Grecos und Caravaggios im Mittelpunkt.
Forschungsergebnisse: Anagnorisis. Probleme der Überlieferung und der Ausprägungen des Wiedererkennens in der Malerei des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts
„Anagnorisis. Probleme der Überlieferung und der Ausprägungen des Wiedererkennens in der Malerei des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts“ ist der Rahmentitel einer Reihe kunstgeschichtlicher Fallstudien. Ein erstes Teilvorhaben hat den Arbeitstitel „Anagnorisis. Zur Frage des Wiedererkennens in einem Werk El Grecos“.
Der einleitende Teil der Arbeit galt Fragen der Intertextualität, das heißt: den Nachweisen dafür, dass die in Leon Battista Albertis 1435 und 1436 vollendetem Traktat „De Pictura / Della Pittura“ enthaltene Theorie von der besonderen „Kraftwirkung“ des Porträts auf einer interpretierenden Lektüre der "Poetik" des Aristoteles beruht. Der Hauptteil hingegen galt der Analyse des 1586-1588 entstandenen Gemäldes El Grecos „Das Begräbnis des Grafen Orgaz“ in der Kirche Santo Tomé in Toledo. Gegenstände der Untersuchung waren die spezifisch posttridentinischen ikonographischen Besonderheiten sowie die unter die zahlreichen Augenzeugen des Geschehens eingestreuten Porträts. Eine Hauptfrage war die nach der „auktorialen Präsenz“ El Grecos im Gemälde. Sie beantwortet sich nicht durch die Annahme, es sei eines der Gesichter mit dem „Blick aus dem Gemälde“ als sein inseriertes Selbstporträt zu deuten. Vielmehr zeigt die Lektüre der in Griechisch verfassten und ironisch-doppelsinnig strukturierten Signatur, dass El Grecos „auktoriale Präsenz“ anderer Art ist. Dem Griechisch Lesenden erschließt sich, dass in dem „Träger“ der Signatur, dem Knaben, der seinen Blick aus dem Gemälde heraus auf den Betrachter richtet, ein Porträt Jorge Manuels, des illegitimen Sohns El Grecos, erkannt werden sollte. In der anschaulichen Metaphorik des Gemäldes ist er „der Sohn, der den Namen seines Vaters trägt“. Zu beobachten bleibt also eine Legitimierung des illegitim Geborenen auf der einen Seite, auf der anderen eine „auktoriale Präsenz“ El Grecos durch Substitution.